Handy und Technik vor 15 Jahren
Verzeichnis
Das Jahr 2005
Ich erinnere mich genau an diesen Moment, es war 2005, eine Theateraufführung in Finnland. Ich arbeitete für ein paar Monate in einem finnischen Kindergarten in einer deutschen Kindergruppe. Meine damalige Anleiterin Anja war klar und sehr fokussiert und hatte eine gewisse Strenge.
Die Kinder kletterten auf die Bühne, es war eine Magie im Raum spürbar. Ein Zauber und gleichzeitig eine Aufregung. Die kleinen Akteure hatten lange geprobt und waren stolz nun ihrer Familie ihr Stück zeigen zu dürfen. Als alle Kinder auf der Bühne versammelt waren, standen die ersten Eltern auf und es regnete Blitzlichter. Die Eltern wollten diesen Moment festhalten, für immer.
Anja unterbrach das Blitzlichtgewitter und sagte klar und deutlich, dass das Fotografieren untersagt sei. Sie begründete es damit, dass die Kinder es verdienen, ohne jegliche Ablenkung und mit dem bloßen Auge und dem Herzen, statt durch die Linse betrachtet zu werden. Anja forderte auf dies zu respektieren und bot an selbst ein paar Fotos für alle zu machen, das sollte genügen.
Fotografieren oder genießen?
Alle Eltern setzten sich ohne Widerspruch hin und der Zauber des Stücks konnte beginnen.
Oft denke ich an diese Situation in Finnland. Es ging damals nur um Fotos und wie oft ertappe ich mich selbst dabei, dass ich den Moment im „Hier und Jetzt“, im echten Leben durch die Linse betrachte? Wie oft mache ich statt einem gleich 10 Fotos und checke nur noch mal eben schnell auf den Social Media Kanälen und dem Blog was es so „Neues“ gibt? Beim Rutschen, im Museum, am Strand, beim Backen… eigentlich wirklich ganz schön oft. Zu oft?
Wie oft wechsle ich den Zustand von „eben noch anwesend“ auf „völlig abwesend“? Möchte ich tatsächlich wissen, wie oft ich in diesen Zustand verfalle, könnte ich mein Handy fragen. Es zeigt mir ganz genau, wie viel Zeit vom Tag ich mit Handy in der Hand verbringe. Ich tue es ungern, weil es mich erschreckt. Es lässt mich zusammenzucken und zu gern würde ich glauben, dass es nicht stimmt und sich verrechnet.
Immer erreichbar, auch in der Kinderzeit?
Das Jahr 2013
Ich erinnere mich an die Zeit um 2013. Ich war beruflich eingespannt und hatte das Gefühl, ich müsste immer abrufbereit sein. Auf dem Spielplatz mit meinem Sohn veränderte sich meine Gemütslage oft, von völlig entspannt zu völlig unkonzentriert und angespannt. In sekundenschnelle. Mein Kind war damals circa 3 und erkannte schnell, dass der Auslöser dafür mein Handy war. Beim Schaukeln flink die Mails geprüft oder eine SMS bekommen (Whatsapp war noch gar nicht „in“) und ich war im angespannten Arbeitsmodus, plante flink die Dienstplanung um oder meinte die Welt anders schnell retten zu können.
Mein Sohn forderte mich bald auf, das doofe Telefon wegzupacken. Ich suchte nach einer Lösung und legte mir eine Zweitnummer zu. Das rote Telefon war das „böse“ Telefon, welches von ihm in unserer gemeinsamen Zeit alsbald verbannt wurde. Die andere Nummer hatten nur Menschen, die meine Laune eher erhellten, statt abzudunkeln, zu stressen. So blieb das rote Arbeitstelefon oft zu Hause oder in der Tasche und die Hiobsbotschaften, die meist extra Arbeit bedeuteten, mussten bis nach der „Mama-Kind“ Zeit warten.
Unser Handy, Mobilgerät, Einkaufsberater und Wegweiser
Das Jahr 2019
Nun, 2019, nutze ich ein Telefon für alles. Es macht großartige Fotos und Videos. Lässt mich immer im Austausch mit der Welt sein. Gleichzeitig mal eben schnell was einkaufen. Mein Kontostand checken und Herzchen und Likes auf den Social Media Kanälen sammeln. Ich mag das. Sehr sogar. Es hat nur einen gewaltigen Haken. Ich nutze es zu lange, zu oft und ich bin viel zu schnell abgelenkt. Aus einem „nur mal kurz“, werden ohne es zu merken 10 Minuten oder mehr.
In meiner Elternschaft ist es mir wichtig, dass meine Kinder sich gesehen und ernst genommen fühlen. Dass sie merken, dass ich mich für das was sie tun und sagen, interessiere. Ich möchte Nähe, Kommunikation und Beziehung.
Beziehungsabbruch durch das Handy?
Aber wenn ich ehrlich bin, dann muss ich – Hand aufs Herz – feststellen, dass ich diese Momente der Beziehung oft unvorhersehbar unterbreche. Und mich selbst stört es, wenn ich mich mit meinem Mann unterhalte und dieser auf sein Handy blickt. Es fühlt sich so an, als sei man nicht interessant genug. Wir erhalten in diesen Momenten kaum Reaktionen, außer vielleicht ein „Hmmm“.
Aber wohl und gesehen fühle ich mich nicht. Manchmal macht es sogar wütend.
Ich möchte echte Kontakte, Aufmerksamkeit und bei einem Gespräch, sei es noch so banal, in die Augen meines Gegenübers blicken können.
Warum aber meine ich nur, dass meine Kinder das nicht auch wollen. Und ja, wir können nicht immer präsent sein und besonders, wenn wir viele Stunden am Stück mit Kindern zusammen sind, tut uns der Austausch mit Erwachsenen gut.
Schnell mal per Whatsapp einen Gedanken teilen oder ein Foto posten. Diese Momente sind legitim. Aber noch mal Hand aufs Herz, ich sollte die Zeiten deutlich einschränken.
Konsum einschränken?
„Hier-und-jetzt-Momente“, in denen langweilen, etwas in die Luft gucken und miteinander sein völlig ausreichend ist – mehr sogar.
„Kinder, aber auch Eltern, profitieren beim Spielen von Zuwendung und Augenkontakt. Sie stellen Nähe und persönliche Verbundenheit her, unterstützen die Sprachentwicklung und vermitteln dem anderen das Gefühl, interessanter zu sein als das Telefon. Am wichtigsten aber: Augenkontakt ist ein Akt der Liebe. Er sagt, dass man wirklich da ist.“
Praschl, P. in der Nido 03/2019, 77
Das Still-Face Experoment
So einleuchtend wird es, wenn man dem „Still Face“ Experiment folgt. Eine Mutter interagiert sehr lebendig mit ihrem Kleinkind, kommuniziert interessiert und liebevoll. Die Mimik erstarrt in der Regel, wenn wir auf ein Smartphone schauen. In dem Experiment unterbricht die Mutter die Kommunikation und schaut plötzlich und für das Kind ohne Grund geradeaus. Ihr Gesicht gleicht einer Maske. Das Kind versucht die Kommunikation aufrechtzuerhalten – ohne Erfolg. Die Mutter scheint wie „eingefroren“ und das Kleinkind reagiert sofort mit Angst und Schrecken (vgl. Praschl, P. 2019).
Diese Erfahrung machen Kinder, wenn wir auf unser Telefon „starren“. Wir sind abwesend und scheinbar unerreichbar. Kennt ihr das?
Also ich werde verstärkt daran arbeiten, mich mit meinem Konsum einzuschränken und den Kindern in gemeinsamen Zeiten eine echte, statt zerstreue Ansprechpartnerin zu sein.
- Ein Ziel könnte sein, mal wieder öfter auf dem Spielplatz ohne Mobilgerät zu sein.
- Unnütze Apps vom Handy entfernen.
- Öfter auf die Dokumentation von Momenten zu verzichten und sie mit den Augen und dem Herz aufsaugen und dort abzuspeichern.
- Benachrichtigungen der einzelnen Apps ausschalten.
- Das Telefon bewusst zu Familienzeiten, beim Essen und Schlafen beiseite legen – am Besten an einen gezielten Ort.
Ich möchte Vorbild sein und im Kontakt sein. Offline mit Liebe und Aufmerksamkeit und Online bewusst und gezielt.
Wie handhabt ihr das in der Familie?
Ich freue mich über eure Berichte!
Liebe Grüße, Kathrin
Literatur:
Praschl, P. (2019): Nido. Ausgabe 03-04/2019