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Zauber-Tool bei Wut: Zeit zurück drehen

Wut achtsam begleiten

Von Kathrin

Mist, die sind alle. „Schau, ich kann dir die Haferflocken machen oder ein Brot. Später gehen wir dann einkaufen.“ In Mira beginnt sich alles zu verkrampfen, sie spürt, wie Wärme in ihr aufsteigt und plötzlich bricht es aus ihr raus: „Du bist die dööfste Mama der Welt“ Die Mama versucht sie zu beruhigen, zu co-regulieren:

„Ach Mensch, nun bist du so verärgert, du hast dich so auf deine Schokis gefreut? So sehr?“ Sie versucht sie in den Arm zu nehmen. Aber Mira stößt sie weg. Mira nimmt die Worte der Mama nur als Summen wahr, die Worte verschwimmen, sie schimpft und beginnt ihre Mama zu boxen.

„Aua, nun reicht es. Das tut mir weh. Ich setzte mich jetzt aufs Sofa rüber und atme durch“, sagt die Mama. Mira steht da, verärgert, traurig, wütend – so gern möchte sie ihre Schokis zum Frühstück und nichts anderes. Sie hält kurz inne und sieht sich um. Sie schaut zu ihrer Mama, die in ihrer Nähe geblieben ist, blickt in den Küchenschrank und überlegt kurz. Sie fasst all ihren Mut und läuft zur Mama rüber, die ihren Arm streichelt, wo sie gerade geboxt wurde.

„Mama“, flüstert sie ganz leise und verlegen. „Können wir die Zeit zurückdrehen?“ Mama lächelt. Schon oft hat sie es mit Mira geübt, Situationen neu einzuspielen, anders zu wiederholen. Sie ist erfreut, über diesen Vorschlag. „Mira, wollen wir noch mal ins Bett gehen und wieder aufwachen?“, fragt sie. „Ja und dann gehen wir in die Küche und ich nehme die Haferflocken mit etwas Kakao, okay?“

Wenn Kinder in starke Gefühle geraten

Manchmal genügt schon ein, aus Erwachsenensicht, kleiner Impuls und Kinder reagieren immens verärgert. Ist es eine kratzige Socke, die nicht auffindbare Brotdose, die Soße auf, statt neben dem Reis, das geschnittene Brot. Kleine Dinge, die sie nicht mit einen Achselzucken als „nicht so schlimme“ einstufen, sondern die ein Kind in Aufruhr versetzen kann.

In Windeseile wird dem kleinen Gehirn gemeldet: Hier ist Alarm. Es geht ums Überleben und das Gehirn geht ruckzuck in den Kampf-Erstarren-Fluchtmodus. In der Regel sind Kinder dann für Worte nicht zugänglich und empfinden die Situation als große Not und sehr bedrohlich. Das mag für Außenstehende nicht nachvollziehbar sein, wichtig aber anzuerkennen, dass das Kind diesen Moment als sehr dramatisch empfindet und Begleitung und Unterstützung braucht, um sich wieder zu beruhigen.

Daneben zu stehen und zu schmunzeln ist daher nicht sehr hilfreich. Es beschämt und das Kind fühlt sich unverstanden. Wir dürfen uns immer selbst vorstellen, uns passiert etwas sehr unangenehmes, es fällt ein Glas im Supermarkt runter und jemand steht daneben und lacht, statt einen empathischen Blick oder hilfsbereite Worte oder sogar Taten zu schenken. Kindern geht es nicht andres, auch wenn nur eine Kleinigkeit geschehen ist. Für das Kind ist es keine Kleinigkeit!

Besonders im Kleinkindalter ist es in diesen Momenten der Not auf verlässliche und liebevolle Bezugspersonen angewiesen, die ihnen die Sicherheit vermitteln: „Es ist alles okay, ich bin für dich da und gemeinsam schaffen wir das!“, sollte die Haltung kennzeichnen.

Kinder benötigen in diesen Momenten Co-Regulation.

„Die Co-Regulation findet im Miteinander statt. Das Kind kann durch unsere einfühlende, spiegelnde und unterstützende Begleitung seine emotionale Stabilität zurückerlangen. Sind wir hingegen selbst gestresst, wütend, genervt – in Übererregung – gilt es, uns erst selbst zu regulieren, bevor wir co-regulieren. Das Kind benötigt Unterstützung bei der „Alarmdeaktivierung“ (Shanker 2016, S. 213). Diese wichtige Aufgabe können wir aber nur übernehmen, wenn unser Alarmsystem entspannt ist.“ (Hohmann 2021, S. 107)

Daher sollten wir achtsam in uns hören und prüfen: Wie bin ich bei mir? Wie geht es mir? Um in unserer Mitte anzukommen und die Situation wertfrei begleiten zu können.

Mit zunehmendem Alter und vor allem vielzähligen Möglichkeiten der Übung können Kinder lernen, sie sich selbst zu regulieren. Sie trainieren ihre Impulskontrolle in jedem Mal ein Stück weiter. Aber: Der Hippocampus, der u.a. für diese Aufgabe zuständig ist, das sogenannte Bremspedal im Gehirn entwickelt sich vieeeeele Jahre und ist erst mit ca. 23-25 Jahren ausgereift. Daher: BITTE HABT GEDULD!

Und immer wenn du zweifelst und denkst: „Das macht es doch mit Absicht und möchte mich testen!“, darfst du deine Stopp-Taste drücken. Denn diese Annahmen und Gedanken lassen dich nicht wertfrei handeln. Durch die Bewertung des Kindes in diesem Moment reagierst du womöglich ungerecht und nicht förderlich! Erinnere dich bitte an die Entwicklung des Gehirnes und daran, dass es mit seinem Tun einem Bedürfnis folgt. Lieber sage dir:

„Das Kind kämpft für sich und seine Bedürfnisse – nicht aber gegen mich! Es ist auf eine liebevolle Begleitung angewiesen!“

So in der Art könnte dein Mantra aussehen!

Der Weg aus der Wut

Wut zu fühlen, ist wichtig und völlig okay. Es soll nie darum gehen, dass wir diese verjagen oder gar kleinreden. Denn die Wut-Kraft zeigt uns und unseren Kindern den Weg. Sie sagt: „Meine Grenze wurde übertreten“ oder auch „Ich verliere gerade den Kontakt“. Bedürfnisse scheinen unerfüllt oder verletzt. Daher ist sie immer ein wichtiges Signal.

Manchmal aber verrennen Kinder (oder auch wir) uns in ihr und um so größer sie wird, um so schwere wird es, wieder einen Weg hinauszufinden. Ein Gefühl von Scham kann hinzukommen. Ein überforderndes Gefühl, wo der Ausweg oft so unmöglich scheint in diesem Moment. Womöglich verstärkt sich die Wutkraft oder Trauer noch oder Kinder beginnen zu lachen – nicht aber, weil sie es lustig finden, sondern vielmehr, weil sie nicht wissen, was sie tun können.

Stehen wir Erwachsenen dann da und schauen mit strengem, belehrendem Blick, wird der Weg nach Draußen nicht leichter, im Gegenteil.

Ein kleines Zauber-tool

Es gibt so ein paar kleine Tools, mit denen wir unseren Kindern Auswege aus den tiefen Gefühlen vorleben können. Das Gefühl, der Ärger, die Wut, sie sind da und unser langfristiges Ziel darf es sein, dass wir lernen, diese Gefühle anzunehmen und mit ihnen gewaltfreie Wege zu gehen. Unsere Wut zeigt uns einen Weg hinein und mit etwas Übung auch wieder heraus.

Die „Zeit zurückdrehen“ kann eine Möglichkeit zur Übung sein, den Weg erneut zu gehen, aber anders. Langfristig stärken sich dadurch die Wege im Gehirn und es entwickeln sich neue Verhaltensstrategien.

Ich kam nach einem langen Tag nach Hause und spürte meine Erschöpfung. Noch im Fahrstuhl dachte ich: „Durchatmen und ruhig bleiben!“. In solchen Momenten sehne ich mich nicht nur nach Ruhe, sondern auch nach Struktur und Ordnung.

Mein Mann war den ganzen Tag mit den Kindern allein und hatte beide Hände voll zu tun. Ich schloss die Tür auf und als ich das „Chaos“ sah (in erschöpften Momenten genügen schon ein paar herumliegende Schuhe und Unordnung im Eingangsbereich) platzte es aus mir heraus. Ich überhörte die freundliche Begrüßung der Kinder und ließ meinen Dampf ab.

Meine Anspannung, meinen Stress. Ungefiltert und völlig unfair. Am liebsten hätte ich weiter gewütet und auf mein Recht beharrt, spürte aber gleichzeitig, dass dies meinem Bedürfnis nach Ruhe, Struktur und Harmonie im Wege stand. Ich sagte laut: „Wartet!“ und ging wieder zurück. Ich stand wieder im Treppenhaus und atmete erneut tief durch, zählte bis zehn und schloss die Tür wieder auf. Ich lächelte und begrüßte die Kinder und meinen Mann liebevoll (so gut ich konnte) und hörte mich dann sagen: „Ich bin erschöpft, ich brauche etwas Ruhe und Ordnung! Ich trink erstmal etwas in Ruhe“

Diese Situationen spielten wir öfter: Manchmal kurz nach dem Aufstehen, wenn die Welt Kopf stand, gingen wir noch mal ins Bett und begrüßten den Tag neu. Manchmal im Supermarkt. Immer mal wieder, wenn wir uns drohten zu verfahren und dem emotionalen Gehirn die Regie zu überlassen, nahmen wir unser Drehbuch wieder in die Hand und schalteten unseren Verstand an und verbanden Gefühl mit Verstand und äußerten wie es uns geht und was wir brauchen.

Erkennen wir unsere eigenen Bedürfnisse und können diese benennen, ist die Wahrscheinlichkeit größer verstanden zu werden. Denn wir dürfen immer daran denken, dass wir alle die gleichen Bedürfnisse haben, aber verschiedene Strategien diese zu erfüllen.

Leben wir dies den Kindern vor, zeigen uns und unsere Gefühle. Offenbaren ihnen unsere Bedürfnisse, zeigen unsere Grenzen und vor allem auch Wege, wie wir achtsam für diese einstehen, lernen sie jeden Tag mit uns.

Die Uhr zurückzudrehen ist eine Möglichkeit von vielen, die natürlich manchmal total stimmig ist und in anderen Momenten gar nicht passt. Sie gibt den Kindern aber eine Möglichkeit sich ihren starken Gefühlen nicht ausgeliefert zu fühlen, sondern Verantwortung für die Situation zu tragen.

Aktiv das Ruder in die Hand zu nehmen, die eigene Impulskontrolle zu üben und sich selbstwirksam zu fühlen, sind wichtige Lernfelder und am besten mit einer liebevollen Bezugsperson, die Raum dafür schenkt und fehlerfreundlich ist.



Ein Podcast zum Thema:


Mehr davon in #gemeinsamdurchdiewut Zeichnung von: Anna Lena Wollny


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