Anbei möchte ich gern wieder ein häufig gestellte Leser:innenanfrage mit dir teilen:
Ich bin ratlos wegen meiner vierjährigen Tochter, sie hört nicht auf mich! Wenn wir auf dem Spielplatz sind und ich gehen möchte, läuft sie immer weg und findet dies lustig. Ich werde dann schnell wütend, weil ich denke, dass wir jetzt schon lange auf dem Spielplatz waren und ich es ewig angekündigt habe, zu gehen. Sie ist auch müde von dem Tag und den vielen Eindrücken. Ich habe schon alles versucht und leider kommen wir immer wieder an diesen Punkt. Ich möchte mein Kind gern auf Augenhöhe begleiten, weiß aber nicht wie.
Mutter Kristin
Eine Situation, die sicher sehr viele kennen.
Hinter den Kulissen
Verzeichnis
Besonders am Ende des Tages ist unser Geduldsfaden dünner und auch kürzer. Wir haben den Tag über viel erlebt, mit unserem Kind gespielt, mehrere Gefühlsstürme gebändigt, Tränen getrocknet und sind nun seit über zwei Stunden auf dem Spielplatz, bauten zig Türme, schaukelten unser Kind an – bis zum Himmel und rutschten mit ihm mindestens hundertmal. Nun ist die Luft raus und wir möchten einfach nur gehen. Jetzt!
Angekündigt haben wir es nun auch bereits seit 20 Minuten und zählten die Zeit runter, räumten bereitswillig allein die Buddelsachen ein und sind nun in Aufbruchstimmung – selbst müde, hungrig und mit dem Wissen, dass der Abend mit dem Essen und der Einschlafbegleitung noch ein Stück Arbeit mit sich bringt.
Wir möchten gehen, das Kind läuft weg und in uns kocht die Wut hoch.
Was kann ich tun?
In diesem Fall kann es hilfreich sein, sich einen Tag, des Kindes und von uns genau anzusehen. Einmal genau zu notieren, was wir selbst bis dahin schon „geleistet“ haben und welche Stolpersteine das Kind bereits passiert hat, schenkt uns häufig viel Verständnis.
Unsere Tage sind meist sehr voll und wir gehen häufig ohne viel Erholung weiter und weiter. Sich dies anzusehen, hilft zu erkennen, wo wir selbst vielleicht über unsere eigenen Grenzen gegangen sind und unsere eigenen Bedürfnisse zurückgestellt haben.
Typisches Beispiel, wir arbeiten schnell alles ab, um pünktlich beim Kind zu sein, statt uns zuvor eine Pause zu gönnen, etwas später zu kommen, aber dafür „bedürfniserfüllt“ und geduldiger zu erscheinen. Wird dann in einem Moment unsere Grenzen verletzt oder gar übertreten, ist dies schwerer auszuhalten und unsere Gefühle springen schneller im Dreieck und wir reagieren verärgert oder gar wütend.
Ganz praktisch kann das bedeuten: Schreibe dir einen Tag bis zur Konfliktsituation genau auf und das gleiche tust du für den Tag des Kindes. Schau, wie oft und in welchen Situationen dein Kind wohl kooperiert hat, also mit dir oder anderen an einem Strang gezogen hat. Wie oft wurden die eigenen Belange und Bedürfnisse zurückgestellt? Wie oft seid ihr anderen gefolgt?
So eine Spielplatzsituation ist für Kinder der ideale Moment, in dem sich selbst wirksam erleben, denn wenn sie nicht gehen wollen und wegrennen, sind wir der Situation förmlich ausgeliefert.
Wenn es am Schönsten ist …
Das Gehen in einem schönen Moment vorzubereiten, ist natürlich schwierig, besser hingegen ist es, wenn wir uns allen noch Luft und Kraft für den Nachhauseweg aufbewahren und nicht erst dann aufbrechen, wenn wir alle schon in den Seilen hängen. Wie oft habe ich den Moment mit einer Kindergruppe zu lange ausgereizt und letztlich müde und hungrige Kinder in die Kita getragen, meist dann, wenn meine Kraft selbst bereits am Ende war…
Daher, schau, dass du auf dich achtest und nicht erst das Gehen ankündigst, wenn der Akku fast alle ist. Es ist schwer, ich weiß, aber auch so wichtig, dass du nicht bis zum letzten Moment bleibst und dann vielleicht den Druck spürst (es ist spät, es muss noch gegessen werden, Sorge, dass der Nachhauseweg anstrengend wird, der Haushalt wartet…) und die Ungeduld und Wut dadurch vergrößert wird.
Übe dich in Achtsamkeit: Vielleicht kannst du auch bewusst gucken, dass du es dir in der Spielzeit des Kindes „schön machst“, etwas liest, einen Podcast hörst, einen Tee trinkst – einen Moment genießen kannst, um dich etwas aufzutanken.
Zögern wir diesen Moment heraus, kann es passieren, dass wir denken „So, nun hab ich ewig auf dich gewartet und nun hörst du nicht, wenn ich sage wir gehen, das ist unfair“ – Solche Gedanken und Bewertungen lösen in uns viel aus. Denn so kann es leicht passieren, dass unser Körper schüttet Stresshormone aus und beschleunigt beispielsweise unsere Atmung. Je nachdem, wie unsere Bewertung ausfällt, fühlen wir uns – entspannt oder gestresst!
Also denke ich: „Ach Luise möchte einfach nicht gehen, sie liebt es hier zu spielen. Mir ging es als Kind auch oft so“, werden wir entspannt und verständnisvoll nach einer Lösung suchen.
Denken wir hingegen: „Ich habe es schon so oft gesagt und sie macht das mit Absicht, wenn ich nicht durchgreife, wird sie das immer wieder mit mir machen“, werden wir vermutlich eher frustriert und verärgert reagieren.
Unser Gehirn bei Stress
Es lässt unser Stresssystem aktivieren und unseren Verstand in den Hintergrund treten. Nicht das, was unser Kind tut, macht uns letztlich wütend, sondern vielmehr unsere Bewertung des Verhaltens. Unsere Gefühle werden dann größer und intensiver, je nachdem was wir denken. „Und gern vermischen wir in diesen Momenten den Auslöser mit der Ursache und geben uns oder unserem Gegenüber die Schuld für unseren Schmerz. Die Ursache liegt aber einzig und allein in dem, was wir brauchen und in unserem unerfüllten Bedürfnis (nach beispielsweise Zuverlässigkeit, Harmonie, Sicherheit, Unterstützung). Erlangen wir ein Bewusstsein darüber und verstehen, dass unser Gefühl von unserer Bewertung abhängt und diese wiederum unser Verhalten bestimmt, können wir an dieser Stelle eine große Veränderung bewirken. Das Faszinierende daran ist: Wenn es uns gelingt, unser Bedürfnis hinter der Wut zu erkennen, verfliegt die Wut so schnell, wie sie gekommen ist.“ (Hohmann 2021, S. 100)
Was hilft konkret?
Drücke innerliche die Stopptaste, schaue wie du dich fühlst und ergründe DEIN Bedürfnis dahinter (Ich brauche jetzt Ruhe, Entspannung, Harmonie, Struktur, …). Oft hilft uns allein das Erkennen unserer Bedürfnisse, um uns besser zu verstehen und ruhiger zu werden.
Das könnte so aussehen:
- Stopp – ich atme bewusst ein und aus
- Ich fühle mich …
- Ich brauche …
- Ich schaue nach einer Strategie, um mir das Bedürfnis zu erfüllen.
Hast du erkannt was du brauchst, stehe für dein Bedürfnis und deine Grenze ein. Besser, bevor diese übertreten wurde und du noch entspannt handeln kannst.
Du möchtest dass dann Kind dir folgt, dann folge ihm!
Im übertragenen Sinn kann es bedeutet, dass das Kind in dieser Situation darum ringt, gesehen zu werden und deine Präsenz sucht. Vielleicht möchte es auch seine „Macht“ einen Moment spüren und sich stark fühlen, wenn es wegläuft.
Möchte dein Kind gesehen werden, so kann es genügen, wenn du dich die letzten Minuten beispielsweise bewusst ganz nah zu ihm setzt und seinem Spiel folgst, dich auf dein Kind einschwingst, dich mit ihm verbindest („Ah das ist der Bagger, den fährst du durch den Sand und nun fahren wir ihn in unseren Beutel…“) – ich meine damit, dass du dich in seine Welt begibst und ihr dadurch zueinander findet und eure „Welten“ verbindet.
Oft ist es ja so, wir beobachten und sagen, dass wir nun gehen und es sind gefühlt zwei Welten: Unsere Vorstellung und Planung und die unseres Kindes. Sich zu dem Kind setzten, es einfach im Tun beobachten und sich interessieren, ist oft ein großer Schlüssel, dass sie auch wieder uns folgen und sich für uns interessieren.
Es kann auch sein und zu euch passen, dass ihr vor dem Gehen eine Runde Fangen spielt. Diese Spiele, sind klassische Bindungsspiele, durch die ein Kind Führung erhält. Es darf dich fangen und ist glücklich, dass es Initiator sein darf.
Den langen Tag über, entscheiden so oft wir oder es wird für die Kinder entschieden in der Kita, sie müssen sich anpassen und kooperieren. Bei uns – im sicheren Hafen – zeigen sie dann, was ihnen zu viel ist und was sie brauchen. Das zu entschlüsseln ist nicht immer einfach. Zeigen Kinder ihre Gefühle, ist es ein Vertrauensbeweis, kein Angriff!
Ist es bei deinem Kind beispielsweise ein Bedürfnis nach Führung, welchem er im Wegrennen folgt, so kann es vielleicht auf dem Nachhauseweg entscheiden, wo es lang geht oder was es zum Abendessen gibt.
Du kannst nur gut für andere sorgen, wenn es dir selbst gut geht!
Sei auf jeden Fall achtsam und liebevoll mit dir selbst. Denn, auch wenn ich es oft sage, wir können Übergänge nur achtsam begleiten, wenn es uns gut geht. Atme ein paar Mal durch und spürst du eine aufsteigende Wut in dir, kann dir womöglich der Satz helfen, dass dein Kind aus einem Grund handelt (für sich kämpft), es aber nie gegen dich kämpft!
Du erlebst auch öfter Situationen, die dich selbst wütend oder einfach ratlos werden lassen. Vielleicht kann dir mein Buch – „Gemeinsam durch die Wut. Wie ein achtsamer Umgang mit kindlichen Aggressionen die Beziehung stärkt“ – dabei helfen oder eine kleine Beratungseinheit mit mir in einem Impulsgespräch. Ich begleite dich gern!
Liebe Grüße,
Kathrin
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