Home Fachtexte Die Entschuldigung im Kleinkindalter – wann ist sie sinnvoll?

Die Entschuldigung im Kleinkindalter – wann ist sie sinnvoll?

Von Kathrin
Freunde

Besonders im Kindergarten erleben Fachkräfte viele kleinere und größere Konflikte unter Kindern. Diese werden, besonders unter jüngeren Kindern, überwiegend körperlich ausgetragen. Durch Hauen, Schubsen oder Beißen macht ein Kind seinen Unmut bekannt und/oder erkämpft sich ein Spielzeug. Werden solche Situationen von Erwachsenen beobachtet, sind sie zumeist daran interessiert, dass es den beteiligten Kindern gut geht, der Konflikt verstanden, behoben und geschlichtet wird. Oft stellt das Ende eines solchen Vorfalls eine Entschuldigung der jeweiligen Konfliktparteien dar. Ist das Einüben und Einfordern einer Entschuldigung im Kleinkindalter sinnvoll?

Ein Blick in die kindliche Entwicklung

… ist bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Entschuldigung von Nöten. Piaget lehrte uns, dass Kinder in den ersten drei Lebensjahren egozentrisch denken, fühlen und wahrnehmen. Das Kind sieht sich als Mittelpunkt der Welt. Kinder beginnen erst im dritten Lebensjahr Anteil an anderen Personen zu nehmen. Sie gehen zuvor davon aus, dass ihre Sicht auf die Welt, ihre Gedanken und Gefühle alle anderen verstehen (vgl. Largo 2010, S. 126). So ist es für sie selbstverständlich, dass ihr eigener Wunsch nach einem Spielzeug dem Gegenüber bekannt ist. Kindern in diesem Alter fehlt die Fähigkeit „der emotionalen Selbstregulation“ (vgl. Shanker 2016, S. 79 ff.). Sie haben häufig eine geringe Impulskontrolle und das Einfühlungsvermögen ist noch nicht oder nur unzulänglich ausgeprägt. Beim Spielen kann ein kleines Kind die Ziele und Gefühle des Mitspielers noch nicht ausreichend verstehen und eigene Bedürfnisse und Spielabsichten verbal nur eingeschränkt ausdrücken (vgl. Gutknecht 2015, S. 12). So kann es dazu kommen, dass ein Kind sich sein Spielzeug kraftvoll nimmt. Verletzt oder stört es dabei ein anderes Kind, kann es im jungen Alter die Reaktion (Bsp. Weinen) des Gegenübers nicht auf das eigene Verhalten zurückführen. Es kann auch noch nicht verstehen, dass das verletzte Kind Schmerzen erleidet.

Erst durch die Erlangung der Perspektivübernahme kann ein Kind die Wünsche, Absichten und Gedanken des Gegenübers verstehen und sich in diese hinein versetzen. Erklären wir also einem dreijährigen Kind die Situation, werden wir damit keine Veränderung im Verhalten erzeugen, da dies sein Verständnis noch überfordert. Es ist für diese Einsicht noch nicht reif.

Entschuldigung von kleinen Kindern einfordern?

Daher ist es nicht sinnvoll, von Kindern unter vier Jahren eine Entschuldigung zu erwarten, wenn es die Perspektive des Anderen noch nicht einnehmen kann. Es kann den zugefügten Schaden nicht verstehen. Und auch an dieser Stelle sei daran erinnert, dass sich jedes Kind in seinem Tempo entwickelt und die Entwicklung der Empathie und Perspektivübernahme ein langjähriger komplexer Prozess ist.

Fordern wir von Kindern in diesem Alter eine Entschuldigung, so ist diese für sie noch ohne Sinn und wird bei Wiederholung floskelhaft eingesetzt. Häufig sind wir Erwachsenen/Fachkräfte es, denen es dann besser geht, sobald sich der „Täter“ beim „Opfer“ entschuldigt hat.

Kinder benötigen liebevolle Vermittlung

Kinder sind in einer Konfliktsituation großem Stress ausgesetzt und verhalten sich eher kopflos. Die Emotionen überschatten jegliche kognitive Fähigkeiten. Es ist ratsam, die Situation zu unterbrechen und aggressives Handeln zu unterbinden. Ein solcher Konfliktfall benötigt einfühlsame und ruhige VermittlerInnen, die den Kleinsten das erwünschte Verhalten vorleben.

Kinder lernen es sich zu entschuldigen, wenn sie kognitiv und emotional in der Lage sind. Zum anderen benötigen sie Erwachsene und größere Kinder, die ihnen das Trösten, gegenseitige Helfen und Entschuldigen vorleben.


Literatur:
Gutknecht, D. (2015): Wenn kleine Kinder beißen. Achtsame und konkrete Handlungsmöglichkeiten. Freiburg im Breisgau
Largo, R. (2010): Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren. München
Shanker, S. Dr. (2016): Das überreizte Kind. Wie Eltern ihr Kind besser verstehen und zu innerer Balance führen. München

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung von frühe Bildung online

 

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2 Kommentare

Sara Meteling 6. April 2021 - 15:05

Hallo liebe Kathrin,

ich bin selbst Pädagogin und hatte vor kurzem genau zu diesem Thema ein Gespräch mit einer ehemaligen Tagesmutter.
Es ging darum, dass vor allem Eltern die hörten das ihr Kind in der Kindertagespflege ein anderes Kind verletzt oder geärgert hatte darauf bestanden das sich ihr Kind entschuldigt.
Ich habe noch nie so richtig verstanden warum das Wort „Entschuldigung“ für manche so wichtig ist, dein Artikel hat mir geholfen die Seite der Eltern zu verstehen. Dennoch ist es schwierig den Eltern zu vermitteln, dass ich in meiner Arbeit keine Entschuldigungen einfordere, sondern die Kinder begleite und sie in Konfliktsituationen unterstütze, diese wenn möglich (bei den älteren Kindern) zu klären oder Alternativen zu finden.
Die Eltern sind jedoch der Meinung, dass es ihre Kinder wenig sozial wirken lässt, wenn sie nicht in der Lage sind sich zu entschuldigen. Auch auf meine Frage, ob eine Entschuldigung die vom Kind ohne Bedeutung geäußert wird sinnvoll ist, beharren die Eltern weiter darauf. Diese Thematik begleitet mich schon viele Jahre.
Danke für deinen Artikel. Wenn es in Ordnung ist würde ich gerne den Eltern, die mit dieser Thematik hadern deinen Artikel mitgeben? Vielleicht hilft es ihnen, ihr eigenes Kind und die Entwicklung zu verstehen und zu akzeptieren.
Viele Grüße Sara

Reply
Kathrin 8. April 2021 - 12:09

Liebe Sara, danke für deine liebe Rückmeldung. Ich denke bei dem Thema ist es wichtig, dass wir das Thema der „Schuldbekenntnis“ überdenken und schauen, ab wann ein Kind in der Lage ist sich einzufühlen. Gleichzeitig können wir sehr fürsorglich mit Kindern schauen, dass es allen gut geht und Alternativen zur klassischen Floskel (wenn es denn eine ist) finden. Natürlich dürfen Sie die Artikel weiter geben, von Herzen gern. Im Buch „Gemeinsam durch die Wut“ erläutere ich dies auch etwas ausführlicher. Liebe Grüße, Kathrin

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