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Nähebedürfnis von Krippenkindern in der Schlafenszeit

Von Kathrin

Eine Leserin fragt:
In unserer Schlafenszeit begleiten wir die Krippenkinder entsprechend ihrer Bedürfnisse in den Schlaf. Einige möchten einen Moment in den Arm genommen werden, andere wünschen sich eine kleine Streicheleinheit und andere wünschen sich, dass wir uns etwas neben sie legen. Sie fühlen sich sicher und schlafen so ein. Wir fühlen uns damit wohl, da die Kinder uns signalisieren, dass es ihnen guttut. Nun besteht aber die Sorge seitens einer Kollegin, dass die Kinder dadurch verwöhnt werden und so nie alleine schlafen werden. Wie kann ich unsere Sicht stärken und vertreten?

Vorab: In der Praxis prallen öfter verschiedene Sichtweisen aufeinander und es ist so wertvoll, dass pädagogische Fachkräfte in den Austausch miteinander treten. Viele Jahre wurde die Schlafenssituation vielleicht anders gehandhabt, als aktuell. Im Fokus der Debatte sollten immer die Kinder mit ihren Bedürfnissen stehen. Was tut ihnen gut? Wie können sie eine sichere und gestärkte Krippenzeit durchleben? Was brauchen sie für ihr Wohlbefinden und wie kann das umgesetzt werden?

Bedürfnisorientiertes Begleiten – Rechtfertigung nötig?

Nun gibt es immer mehr Fachkräfte, die bedürfnisorientiert arbeiten möchten und sich für ihre Haltung und Arbeitsweise rechtfertigen müssen, da es lange Zeit vielleicht in der Einrichtung anders gelaufen ist und „wunderbar funktioniert hat“. Hat es das tatsächlich? Wurden die Kinder mit ihren Bedürfnissen ausreichend gesehen? Dies gilt es zu prüfen.

Bedürfnisorientierte Fachkräfte treten häufig als Sprachrohr für die Kinder auf: Sie werden laut, stehen auf, und machen auf die Bedürfnisse der Kinder aufmerksam.
Gleichzeitig, und das möchte ich betonen, geben alle Fachkräfte ihr Bestes und meinen das Wohl des Kindes zu vertreten. Die Sichtweisen, was ein Kind braucht, weichen hingegen voneinander ab und dies gilt es – im Sinne der Kinder – in den Fokus zu rücken.

Daher bin ich dankbar über diesen lohnenden Austausch unter den Fachkräften, der nötig ist, um den Kindern eine möglichst achtsame und gewaltfreie Kindheit zu ermöglichen.

verschiedener Umgang in Schlüsselsituationen

Besonders in Schlüsselsituationen wie Schlafen, Essen, Hygiene prallen verschiedene Sichtweisen aufeinander. Fachkräfte fühlen sich leicht in ihrem Handeln unverstanden und haben das Gefühl in ihrem Tun kritisiert zu werden. Fragen nach dem richtigen Umgang werden laut. Dürfen Kinder entscheiden was sie essen? Nehme ich Lisa hoch, wenn sie weint? Darf Lukas das Windeln ablehnen? Und letztlich auch Fragen wie: Verwöhne ich Luis, wenn ich ihn in den Arm nehme, bis er schläft?

Fachkräfte handeln nach besten Ermessen und dann hagelt es Kritik von Kolleg:innen. Der Umgang damit ist herausfordernd, das Herangehen aus meiner Sicht hingegen eindeutig.

Schlüsselsituation: Einschlafbegleitung

Kommen wir nun zurück zu unserem Beispiel, in dem eine Fachkraft das Kind sanft in den Schlaf begleitet, während eine andere meint, sie würde das Kind damit verwöhnen. Aus meiner Sicht ist es an dieser Stelle lohnend sich anzuschauen, was Kinder benötigen und ebenso die Ängste der Fachkraft in den Blick zu rücken.

Zum Thema Schlaf gibt es mittlerweile unzählige Artikel, selten wird ein Thema so viel diskutiert wie dieses. Am Ende stelle ich Artikel und Podcasts zusammen, falls der Wunsch nach Vertiefung besteht.

Bedürfnisse verstehen

Für den Konflikt der beiden Fachkräfte ist es aus meiner Sicht wichtig zu verstehen, dass besonders kleine Kinder auf die Erfüllung ihrer Bedürfnisse angewiesen sind. Das wichtigste psychische Grundbedürfnis ist die Bindung. Kinder sind für eine gesunde Entwicklung auf eine sichere Bindung angewiesen, sie benötigen hierfür Schutz, Vertrauen, Sicherheit, Geborgenheit, Nähe, Fürsorge etc.

Dazu kommt das physische Bedürfnis nach Schlaf. Kinder benötigen neben Momenten der Anspannung, ausreichende Zeiten der Entspannung. Besonders in der außerfamiliären Betreuung brauchen sie wiederum Sicherheit, Nähe, Vertrauen – also eine sichere Bindung – um sich das Bedürfnis nach Schlaf erfüllen zu können.

Eine feinfühlige Bindungsperson erkennt die Signale eines Kindes, interpretiert und beantwortet diese prompt und zuverlässig (sensitive Responsivität) (vgl. Rempsberger 2011). Auf dieser Grundlage kann sich zwischen der Fachkraft und dem Kind eine zuverlässige und sichere Beziehung aufbauen. Reagiert eine Fachkraft nicht auf die Signale und Bedürfnisse des Kindes, so trägt dies dazu bei, dass sich eine eher unsichere Bindung entwickelt.

Nun sind wir als Fachkraft im Schlafraum und bemerken, dass einige Kinder nach Sicherheit, Nähe und Körperkontakt bitten. Wir sehen beispielsweise wie der elfmonatige Tom sein Arm nach uns ausstreckt. Ein Signal, welches wir als ein Bedürfnis nach Sicherheit interpretieren können. Bieten wir dem Kind unsere Nähe an, erkennen wir schnell, ob es das ist, was das Kind gerade benötigt, um sicher in einen erholsamen Schlaf zu finden. Damit beantwortet die Fachkraft das Bedürfnis und trägt zu einer sicheren und feinfühligen Beziehung bei.

Erinnern wir uns nun zusätzlich daran, dass eine sichere Bindung maßgeblich dazu beiträgt, dass sich der Stress eines Kindes reguliert und dies sie wiederum dazu befähigt sich neuen Situationen gekonnter anzupassen (vgl. Grossmann/Grossmann 2004). Sichere Bindungen stärken die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) eines Kindes (vgl. Wustmann 2004) und diese begleitet sie ihr Leben lang.

Mit diesen Informationen steht nun die andere Fachkraft im Schlafraum, sieht wie Tom die Arme nach ihr ausstreckt und möglicherweise überlegt sie erneut: „Wenn ich nun zu ihm gehe, werde ich ihn verwöhnen? Wird Tom auch ohne mich lernen einschlafen zu können?“

Reflexion der eigenen Biografie – Glaubenssätze hinterfragen

Die Sorge nach dem „zu viel“ an Nähe ist hat möglicherweise mit der eignene Biografie zu tun. Alte Sätze, die in uns auftauchen und rufen: „So wird das Kind nie lernen, wie es das allein kann. Du bist schuld, wenn es dich noch lange braucht. Der gleichaltrige Leo kann das doch auch!“

Nur haben diese Sätze viel mehr mit der Fachkraft zu tun, als mit dem Kind, welches auf die Erfüllung der Bedürfnisse seitens der Fachkraft angewiesen ist. Angewiesen, um sich gesund und sicher zu entwickeln. Und fest steht, Kinder die „satt“ sind und deren Nähe- und Sicherheitsfass gefüllt ist, werden stolz sein, Dinge allein zu tun. Sie nabeln sich schrittweise ab, denn ein weiteres fundamentales Bedürfnis ist das, der Autonomie. Kinder streben danach, Dinge selbst zu tun, wenn sie bereit sind!

Gibt es richtig oder falsch?

Daher stellt sich nicht die Frage, welcher Weg, welcher Sichtweise der Fachkräfte die richtige ist. Vielmehr sollten sie sich fragen, was benötigen die Kinder für ein achtsames Aufwachsen?

Sie brauchen feinfühlige Fachkräfte, die die Signale und Bedürfnisse beobachten, erkennen, interpretieren und beantworten. Es ist ihr Auftrag Kinder zu stärken, achtsam zu begleiten und für eine sichere Beziehung zu sorgen.

Kinder brauchen keine Abhärtung durch untersagte Nähe und keine Fachkräfte, die ihnen das „harte Leben“ lehren möchten.

Kinder profitieren ein leben lang von den sicheren Beziehungen und angenehmen Erfahrungen im Miteinander, beim Schlafen, Essen, Wickeln. Andersherum werden sie ein leben lang kleine oder größere Schäden mit sich tragen, wenn Fachkräfte die Signale der Kinder ignoriert haben oder übergangen sind.

Jede einzelne Fachkraft darf daher hinterfragen, ob sie dazu beiträgt, … :

  • dass das Kind in Sicherheit aufwachsen kann?
  • dass das Kind es zu einer Wohlfühlatmosphäre beiträgt?
  • dass das Kind achtsam und gewaltfrei begleitet wird?
  • dass sie die Partizipation der Kinder achtet und respektiert?
  • dass sie zum Aufbau einer sicheren Bindung/Beziehung beiträgt?
  • dass das Kind angstfrei „sein“ kann.

Und schlussendlich dürfen Fachkräfte sich auch immer wieder die Frage stellen:
Wäre ich gern Kind in meiner Gruppe? Wie würde ich mir wünschen, dass ich in dieser Situation begleitet werde?

Ich freue mich, über eure Ideen und Anregungen zum Thema, hinterlasst gern einen Kommentar!

Und nun möchte ich euch noch ein paar Artikel und Podcast zum Thema anbieten:


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Literatur:

Grossmann, K. E.; Grossmann, K. (2004): Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart:
Klett-Cotta.

Rempsberger, R. (2011): Sensitive Responsivität. Zur Qualität pädagogischen Handelns im Kindergarten. Wiesbaden: VS Verlag

Wustmann, C. (2004): Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern.
Berlin: Cornelsen.

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Talica 8. September 2023 - 9:35

Ich bin sehr Dankbar diesen Artikel gefunden zu haben! Ich studiere derzeit Erziehung und Bildung in der Kindheit in Berlin und habe zeitweise in Neukölln im Familienbrennpunkt mit Kindern gearbeitet. Dort schon habe ich soweit ich bereits konnte bedürfnisorientiert begleitet, da ich es grade bei Kindern mit sehr schwierigem Familienhintergrund als wichtig empfand, den Kindern zu zeigen, dass sie auch anders (wertschätzend, ohne Gewalt etc.) behandelt werden können. Ich wollte diesen Kindern alternative Erfahrungen erfahren lassen und hatte auch ein sehr gutes Verhältnis zu fast allen von Ihnen. (Alterspanne 7-11)
Nun zeigte sich auch ein (meiner Meinung nach) Nähe-Bedürfnis bei den Kindern, sie fragten mich direkt, ob ich sie umarmen, auf den Arm nehmen, auf den Schoß setzen etc. dürften und da ich merkte, dass weder meine Persönliche Nähe-Grenze noch das der Kinder aus meiner Sicht überschritten wurde, erfüllte ich diese Bitten gern. Zufolge hatte dies allerdings eine Supervision in der das Thema Übergriffigkeit von Fachkräften auf den Tisch gelegt wurde. Es gab die Aussage „Solche Bedürfnisse dürfen nur die Eltern erfüllen“ „Sollte Kind XY misshandelt worden sein, muss ihnen beigebracht werden, dass nicht zu jeder (fremden) Person körperkontakt in Ordnung ist“ „Wieso ist dir das persönlich so wichtig, die Kinder zu Umarmen?“ „Erfüll das Bedürfnis in dem du das Angebot machst mit ihnen etwas was zu malen“ „Dieses Kind ist schon Schulkind, das wird nicht mehr auf den Arm genommen“ „Da musst du vorsichtig sein, wir wissen nicht, was die (anderen) Eltern über dieses Handeln denken“ „Professionelle Distanz ist wichtig!“
Ich war danach ziemlich überfahren und grade das Gefühl, dass mir Übergriffe auf Kindern unterstellt wurde führte dazu, dass ich die Stelle bald nicht mehr hatte.

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