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Verhaltensampeln als Bewertungselement in Kita & Schule

Von Kathrin

Was ist eine Verhaltensampel?

Kennt ihr diese Ampeln, in pädagogischen Einrichtungen, auf denen das Benehmen eines einzelnen Kindes oder der Kindergruppe gemäß der Farben bewertet wird? Ist ein Kind auf Grün, dann war es „brav“ und hat sich regelkonform verhalten. Bei Gelb hatte es wohl mal einen Ausreißer, sodass es Chance zur Verbesserung (oder Verschlechterung) sieht. Tja, und bei Rot – hat es wohl gestört und mehrfach gegen die Klassenregeln verstoßen. Und wer entscheidet über dein Verhalten? Der betreuende Pädagoge/Lehrer.

Ist überholt, meinst du?

Im Netz sind einige Schulen zu finden, die mit diesen Klassen-Ampeln bzw. Verhaltensampeln arbeiten. Auf einigen Seiten werden diese ganz groß angepriesen. Beschrieben wird es wie folgt:

„Damit für Kinder und KollegInnen positives und negatives SchülerInnenverhalten transparent wird, steht in jeder Klasse eine Ampel. Für jedes Kind ist eine Holzklammer mit dem Namen vorhanden. Alle Kinder-Klammern beginnen täglich auf der Ampelfarbe “Grün“. Bei Regelverstößen rücken die Kinder zuerst auf “Gelb“, danach auf “Rot“ und in letzter Konsequenz auf den “Blitz“. Befindet sich ein Kind auf dem Blitz Symbol, folgt eine Konsequenz, die mit der Klasse abgesprochen wurde (z. B. PC – Verbot, Sport -Verbot oder auch eine Elternbenachrichtigung). Bei groben Regelverstößen können die Kinder auch direkt auf die Farbe “Rot“ gesetzt werden. Kommt ein Kind mehrfach auf das “Blitz“ Symbol, sollte ein Elterngespräch stattfinden. Die Kinder haben die Möglichkeit durch besondere Leistungen von “Rot“ auf “Gelb“ bzw. von “Gelb“ auf “Grün“ zu kommen (positive Verstärkung); befindet sich ein Kind auf dem “Blitz“, kann es nicht zurückgesetzt werden. (…)“ Auszug der Hellingskampschule.

Sinn und Ziel der Ampeln

Sie haben das Ziel die Kinder zu dem erwünschten und erwarteten Verhalten zu bewegen. Kinder werden zu Objekten und Pädagogen gehen davon aus, dass Menschen durch diese Verhaltenssteuerung „erzogen“ werden können. In der Tierwelt konnten damit tatsächlich Erfolge erzielt werden. Es ist hingegen nicht ratsam diese Dressur auf Menschen zu übertragen.

Aus Sicht des Pädagogen mag diese Form Sinn ergeben, besonders wenn diese eine klare Vorstellung davon haben, wie eine Gruppe zu sein hat. Leise, aufmerksam, angepasst, rücksichtsvoll. In engen Räumen gibt es oft wenig Ausweichmöglichkeiten für die Erfüllung der vielfältigen Bedürfnisse der Kinder. Ja, es ist eine Herausforderung eine größere Kindergruppe zu führen, durchaus. Und das Bestrafen, Belohnen und Bewerten des kindlichen Verhaltens kann eine Lösung sein, Kinder in Linie zu bekommen. Aber für welchen Preis?

Ein Exkurs

Bevor wir uns ansehen, was dieses System beim Kind bewirkt, möchte ich einen kleinen Umweg gehen. Jesper Juul bediente sich immer gern dieser Übertragungen, die mich jedes Mal bewegten.

Stell dir also vor, du arbeitest mehrere Stunden im Großraumbüro am Telefon mit Kunden und gehst täglich deiner Tätigkeit für mehrere Stunden nach. Der Beginn ist immer zu einer festgelegten Zeit, an der du aufmerksam an deinem Tisch zu sitzen hast. Essen und Trinken solltest du besser zuvor und Toilettengänge sind nur in den kleinen Pausen erlaubt. Ein Kundengespräch irritiert dich und du wendest dich mit deinen Fragen an deinen Kollegen. Du hast noch nicht einmal die erste Frage fertig ausgesprochen und schon wirst du von deinem Chef ermahnt. Gespräche sind gerade nicht erlaubt.
Dein Morgen war etwas durcheinander und deine Konzentration lässt nach 30 Minuten nach. Dein Magen knurrt. Er ist hörbar, aber essen gerade nicht gestattet. Endlich klingelt es und du spürst ein Bedürfnis dich zu bewegen, etwas zu essen, deine Blase drückt und deine offenen Fragen lassen dir keine Ruhe. Also erfüllst du deine Bedürfnisse der Reihe nach, erst essen, dann suchst du das Gespräch zu deinem Kollegen und gerade als du diese beiden Dinge erledigt hast, klingelt es. Der nächste Arbeitsblock wartet auf dich, nun sind die englischsprachigen Kundentelefonate an der Reihe. Leider spürst du den Druck auf deiner Blase nun noch viel mehr, aber dein Chef erwartet effizientes Arbeiten und verdreht die Augen, wenn du nun den Raum verlässt, um die Toilette aufzusuchen. Immerhin hattest du ja gerade Pause. Du hältst an und durch. Nur noch 40 Minuten bis zur nächsten Pause. Am Ende des Tages schaut dein Chef durch die Reihen und schätzt deine Leistung und deine Anpassungsfähigkeit ein. Glück gehabt, heute landet dein Pin auf der grünen Farbe. Du hast hingegen Mitgefühl mit deiner befreundeten Kollegin, die wieder einmal auf Rot rutscht, da sie am Morgen zu spät kam, durch Gespräche auffiel und dreimal den Raum verließ.

Wie liest sich das für dich? Welche Gefühle werden in dir ausgelöst? Und sag, möchtest du da arbeiten?
Gefühl von Wohlergehen kommt nicht auf, oder? Ein enges Regelkostüm, viele Vergleiche und wenig Beziehung zum Chef. Die Angestellten müssen funktionieren und gute Arbeit leisten. Darum geht es.

Ein Glück wissen wir aber, dass unter diesen Bedingungen kein Lernen, keine Kreativität und keine Selbstbestimmung wachsen kann. Oder? Daher machen wir es uns in unseren Jobs doch etwas gemütlicher, richtig?

Wie geht es aber einer Vielzahl der Kinder in Kitas und Schulen? Neben dem Ampelsystem werden auch Knöpfe oder Büroklammern gesammelt, Bonus-Systeme eingesetzt. Kinder werden von Erwachsenen bewertet, benotet, belohnt und bestraft. Aus Sicht des Pädagogen sind diese Ideen sicherlich mit guter Absicht gemeint und das, obwohl wir mittlerweile wissen, dass dies für das Klima und die Entwicklung absolut schädlich ist.

Die pädagogische Aufgabe

Die Aufgabe besteht darin, Kinder dabei zu begleiten sich zu selbstwirksamen, verantwortungsvollen und selbstständigen Wesen zu entwickeln und zur Kooperation zu befähigen.
Strafen und Autorität erzeugen Angst und Anpassung und das Kind lernt zu gehorchen, damit es nicht auf „Rot“ kommt. Es lernt eventuell, dass es mehr Ruhe hat, wenn es sich anpasst und sozial verträgliches Verhalten zeigt.

Kinder, die hingegen eher aktiver und impulsstärker sind und sich schwer kontrollieren können, schlagen ggf. bewusst den anderen Weg ein und fallen durch störendes Verhalten auf. Durch die Bewertung von außen haben sie nach kurzer Zeit einen Stempel und sind der „Störer“ oder „Clown“. Eine Rolle, die sie nur schwer wieder loswerden und in der sie sich nach und nach zurechtfinden.

Warum sind Ampeln schädlich?

Zum einen sollte es immer darum gehen, das Kind in seinem Verhalten verstehen zu wollen. Möchten wir, dass Kinder sich anpassen, unterordnen und funktionieren? Oder möchten wir, mit ihnen in Kontakt stehen und interessieren wir uns für sie und ihre Welt?
Wir wissen alle, dass Menschen nur lernen, wenn sie sich wohlfühlen. Das ist Fakt. Es ist erwiesen. Es ist belegt.

Diese Ampeln sollen oft als Belohnung dienen und Kinder motivieren sich immer von ihrer besten Seite zu zeigen. Selbst für sehr angepasste Kinder ist dies mit großem Stress verbunden. Sie lernen, dass sie sich nicht zeigen dürfen, da sie sonst in die Schusslinie geraten könnten. Einige halten sich so explizit an die Regeln und unterdrücken ihre eigenen Bedürfnisse. Sie spüren Scham und Angst und oft auch starkes Mitgefühl für die Kinder, deren Verhalten mit „gelb“ oder „rot“ bewertet wird. Dies wirkt sich störend auf das Selbst- und Fremdbild aus und behindert die Beziehungen unter den Kindern und die PädagogIn-Kind-Beziehung.

Kinder, die selbst um keinen Preis auf „gelb“ geraten möchten, meiden unter Umständen auch die als „auffällig“ bewerten Kinder. Aus Sorge ihre Bewertung könnte auf sie abfärben. Und dadurch sind selbst Kinder, die immer auf „Grün“ sind, in ihrer Rolle gefangen. Sie empfinden ihre angedachte Belohnung auch oft als Strafe.

Ampeln verstoßen gegen das Datenschutzgesetz

Da ist das Datenschutzgesetz doch mal auf meiner Seite. Tatsächlich ist es nicht legitim die Leistung oder ein Verhalten eines Kindes sichtbar zu machen, selbst wenn die „Klammern an der Ampel“ getarnt sind, erhalten andere Einblicke in die Bewertung und die Weitergabe an Dritte verstößt gegen das Recht!

Kinder brauchen Beziehung!

Erfährt ein Kind nun, dass sein Verhalten unerwünscht und abgelehnt wird, kann es davon noch nicht ableiten, was stattdessen gewünscht ist. Ihm offenbaren sich noch keine neuen Handlungsstrategien, sondern nur die Anforderung die ggf. auftretenden Bedürfnisse zu unterdrücken.

Geraten Kinder beispielsweise auf dem Schulhof mehrfach aneinander und werden handgreiflich, verstoßen sie sicherlich gegen die Regeln der Schule. Nun haben die PädagogInnen die Möglichkeit mit den Kindern in Austausch zu gehen und zu ergründen, welcher Konflikt vorliegt und wie dieser gelöst werden kann. Oder sie können Kinder bewerten, den Konflikt unterdrücken und die Aggression mit z.B. Verboten bestrafen.

Ziel einer pädagogischen Einrichtung sollte immer sein, Kinder zu eigenständigem Handeln zu befähigen und gemeinsame Werte zu kreieren. Das ist Arbeit mit den einzelnen Menschen und der Gruppe. Es ist ein Prozess und häufig mit Reibungen verbunden. Es bietet die Chance zum Wachsen und zum Lernen, wie nachhaltig Konflikte achtsam und auf Augenhöhe gelöst werden können.

Indem eine Einrichtung signalisiert, dass alle Menschen eine Stimme haben, ein Recht gehört zu werden und mit ihren Anliegen und Bedürfnissen gesehen werden, kann Entwicklung entstehen.

Werden Konflikte hingegen im Keim erstickt und Strafen vom Stärkeren und mächtigem Erwachsenen verhangen, erfahren Kinder, dass das Gesetz des Mächtigen zählt. Sie schlüpfen dann oft selbst in diese Rolle und üben Macht gegen andere, schwächere aus. Ein ungünstiger Kreislauf, der seinen Ursprung oft durch ungünstige Nachahmung erlebt.

Selbst verabschieden wir uns dann aber von unserer wertvollen Vorbildrolle. Kinder brauchen uns aber als Vorbilder, als echte Personen, die sich für sie interessieren, die Kinder wahrnehmen. Und besonders Kinder, die häufiger durch ihr Verhalten auffallen, laufen Gefahr sich nicht wertvoll zu fühlen und in einen unangenehmen Teufelskreis zu geraten. Besonders diese Kinder benötigen Erwachsene, die ihren Wert und ihre Kompetenzen erkennen und diese zu schätzen lernen.

Jedes Kind zeigt immer sein bestmögliches und ihm zur Verfügung stehendes Verhalten und möchte kooperieren! Immer!

Liebe(r) PädagogIn, liebe(r) ErzieherIn, liebe(r) LehrerIn, sieh hin und spüre den Menschen hinter seinem Verhalten! Geh in Kontakt und prüfe deine Erwartungen und Ansprüche. Jedes Kind ist wundervoll und es ist deine Aufgabe, dieses Wunder zu sehen! Zerstöre nicht was da ist, sondern lass dem Kind Raum, Zeit und vertraue, dass es sich dir offenbart, wenn du es nur sein lässt, wie es ist!

Podcasts zum Thema: Belohnungssysteme


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8 Kommentare

Angie 18. Februar 2020 - 20:21

Gut beschrieben. Ich verspüre immer Unbehagen bei solchen Systemen, egal ob Ampeln oder Strichlisten. Die einzige Ampel, die mir im Klassenraum sinnvoll erscheint, ist die Lärmampel, da die Kinder oft nicht merken, wenn sie immer lauter werden und sich die Geräuschkulisse dann hochschaukelt.

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Christoph 3. Oktober 2022 - 12:36

Hallo,
ich unterrichte seit diesem Schuljahr an einer neuen Schule, die das Ampelsystem seit 2 Jahren benutzt. Die SuS fürchten das System und sind damit schnell zur Ruhe zu bringen. Allerdings stirbt dann auf das Mitdenken und Lernen. Die SuS lernen nur noch für den Moment. Transferleistungen sind ihnen nicht möglich. Meine 7ner Schüler können nicht mehr als die gerade eingeschulten 5er.
VG
Christoph

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Judith 20. Februar 2020 - 12:12

Ich bin etwas erstaunt über diese Darstellung. Die Ampel ist ein Rückmeldesystem für die Kinder, über ihr Verhalten. Wenn sie sich an gewisse Regeln nicht halten können – die es in einer Schulklasse geben muss – stört das die ganze Gruppe. Die meisten Kinder wollen in der Gruppe kooperieren und wenn sie auf der gelben Stufe sind, überprüfen sie sich selber. In den allermeisten Fällen kann ihr Name dadurch wieder in den grünen Bereich rutschen. Auch ich als Lehrerin kann auf der gelben oder roten Stufe landen, wenn ich zum Beispiel etwas Wichtiges vergessen habe. Und auch ohne Ampel – ohne gegenseitigen Respekt funktioniert Schule nicht. Und daran müssen sich Lehrer und Schüler halten. Da steht dann auch mal das Recht der Gruppe auf ungestörtes Lernen über dem Recht auf Selbstentfaltung….Trotzdem kann ich meinen Schülern wertschätzend begegnen.

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Kathrin 20. Februar 2020 - 13:18

Hallo, ich meine, dass wir pädagogischen Fachkräfte uns viel mehr in die Kinder einfühlen müssen, denn was von vielen gut gemeint ist, verfehlt das Ziel. Ein Rückmeldesystem über ein Verhalten? Kinder können oft gar nicht unterscheiden, ob sie etwas Falsches tun oder falsch sind. Zurück bleibt eine Entwürdigung. Und Kinder, die bewusst versuchen, um keinen Preis aufzufallen, stehen oft unter Stress und Anspannung. Und Kinder, die auffallen, benötigen meist eine Übersetzung und ein Blick hinter ihr Verhalten.
Wir können nicht in die Kinderseelen blicken, nicht in dem Moment, aber Erfahrungsberichte der Eltern oder Erwachsener, die diesem System ausgesetzt waren, erzählen davon. Vielleicht tangiert es einen Teil nicht, aber was ist mit denen, die es schädigt?

Eine andere Frage tut sich mir auf, wenn Sie einen wertschätzenden Umgang mit den Kindern haben und ein „wir“ Gefühl in der Klasse, wozu dann eine Ampel? Genügt es dann nicht, wenn man die Kinder daran erinnert, die Regeln einzuhalten? Ich mag persönlich, dass Sie sich selbst mit in das Boot setzen und auch (von den Kindern?) bewerten lassen. Aber aus den genannten Punkten meine ich, dass wir auch ohne solche Werkzeuge auskommen, wenn wir uns für einen Weg ohne Beschämung, Demütigung und Machtmissbrauch entscheiden.

Die Rolle der Fachkräfte in Kita und Schule ist wahrlich nicht einfach und an einigen Tagen möchte man weinend/schreiend davon laufen, ja, durchaus. Und manchmal ist es sicher eine Wohltat, wenn wir eine ruhige Klasse haben und solche Zaubertricks, die uns dabei helfen. Wir sollten dennoch immer darüber nachdenken, was unser pädagogischer Auftrag ist (Ruhe, Lehrpläne erfüllen in Anspannung oder etwas anders?). Und mich zusätzlich frage, in welcher Form ich die Kinder präge – langfristig!

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich nicht verurteile, vielmehr dazu aufrufen, dass wir uns in die Kinder einfühlen und auch in die stillen, leisen Kinder, wie in die Lauten und Auffälligeren! Ich meine, wir brauchen diese Methode nicht. Auf jeden Fall gehen wir dann nicht das Risiko ein, Kinder in ihrem Selbstwert zu schädigen und ein unangenehmes Vergleichen der Kinder untereinander zu erzeugen. Das ist, was passiert und wovon wir als Fachkräfte oft wenig mitbekommen („Albert lade ich nicht zum Geburtstag ein, der ist oft auf Rot“).

Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung, denn worüber ich mich immer persönlich freue, ist im Austausch zu sein und miteinander zu wachsen!

Herzliche Grüße
Kathrin

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Anna 21. Februar 2020 - 13:15

Habe niemals ein Ampelsystem erlebt, aber bei uns wurde für eine Weile am Ende des Tages offen gesagt, wer sich benommen hatte und wer nicht. Ich kann da nur Bestätigen dass es mehr Schaden verursacht hat, als es geholfen hat. Ich kam mal in der „sich nicht benommen“ Liste, weil ich mich von ein Arschloch verteidigt hatte. Selbt meine Stressreaktion auf diese Gemeinheit würde als „schlechtes Benehmen“ abgestempelt, und bekam nur noch mehr Stress deswegen. Ich erzähle hier nur über ein Beispiel, aber Situationen wie die haben mich als Mensch zerstört. Als Erwachsene weis ich nicht die Verteidigung von Übergriffen (von Verbale bin Physysche) funktioniert. Ich komme da in Angsstarre da ich das Gefühl habe, egal was ich tue, es wird
alles falsch sein, und alles wird gegen mich verwendet werden.

Da kann ich dir nicht genug danken dass du erklärst, warum so ein Belohnungs- und Straffystem abgeschafft werden muss, weil die negativen Konsequenzen langfristig enorm sein können, uns im schlimmsten Fall auch tödlich.

Reply
Andrea 21. Februar 2020 - 21:25

Ich bitte um konkrete Verbesserungsvorschläge, dafür wären wir sicher alle dankbar! Fiktive Situation: Unruhe in der Klasse 3. Der jungen Referendarin gelingt es nicht, Ruhe in die Hausaufgabenbetreuung zu bekommen, 17 Kinder, Gehörschutz gibt es nicht. 5 Jungs schaukeln sich gegenseitig hoch, provozieren, rülpsen das Alphabet, 1 rennt immer wieder rum, 1 braucht permanent den Radiergummi vom Nachbarn gegenüber, alle anderen haben keinen. 3 x muss wer auf Toilette, Toilettengang ist immer zu zweit erlaubt. Tobepause war gerade. 1 Kind hat sein Arbeitsheft vergessen, 1 sein Arbeitsbuch. 1 Kind ist die Flasche ausgelaufen, 1 Kind hat sich den Fuß nur in Socken unterm Stuhl verletzt und weint. Der Rest der Kinder ist von der Lautstärke gestresst. So und bitte!

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Kathrin 23. Februar 2020 - 18:39

Liebe Andrea,
ich dank dir für deine Mail. Klingt für mich etwas ratlos und fordernd. „So und bitte!“
Autsch, dachte ich! Aber ja, wenn man dem Wahnsinn täglich ausgesetzt ist und gefühlt oft nicht weiter weiß, dann liest sich so ein Artikel bestimmt unangenehm. Der Job ist so hart und nun soll man auch noch ohne Strafen und Belohnungen auskommen?
Ich habe nie gesagt, dass es leicht ist, aber ich sage, dass die Folgen von Beschämung und Demütigungen sich bei einigen Kindern langfristig in die Seelen einbrennen. Wenn du die letzten Tage bei Facebook und Instagram etwas mitverfolgen konntest, was betroffene Erwachsene von ihren Kindern und auch aus ihrer Kindheit berichten, macht es zu den Fakten, die wir eh schon wissen, sehr nachdenklich!

Ich habe deine Anfrage hier und da geteilt und es gingen einige Vorschläge von LeserInnen ein. Ich bündele alle und verfasse gern einen erneuten Artikel zum Thema. Gern auch etwas wissenschaftlicher!

Liebe Andrea, es kann hart und schwer mit Gruppen sein, die oft sehr individuell sind, alle Individuen zu erreichen. Ja! Und manchmal müssen wir uns auch eingestehen, dass wir das gar nicht können. Aber wir dürfen uns nicht das Recht rausnehmen diese Schwierigkeiten mit Strafen und Bedrohungen zu beantworten. Es schädigt und tut nicht gut! Kinder haben ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung und auch, wenn uns das Verhalten des einen oder anderen sehr herausfordert, dürfen wir unsere Macht nicht missbrauchen. Dann ist der Teufelskreis perfekt! Ich störe und erfahre Macht und Beschämung und werde bestätigt, dass mich niemand versteht und störe weniger? Nein! Leider nicht! Das Problem verlagert sich nur!

Meld dich gern wieder und ich freue mich sehr, dass du an Veränderung interessiert bist!
Liebe Grüße
Kathrin

Anbei noch ein paar Auszüge von Facebook-Kommentaren:
EINS:

Nicht nur die Sicht auf sie selbst, auch ändert es die Sicht auf andere Kinder: „der XY ist jetzt die 6. Woche bereits rot.“

„Ja? Der Arme, das ist bestimmt kein schönes Gefühl für ihn.“

„Aber Mama wer so blöd ist und sich immer mit dem Absicht schon Montags daneben benimmt, der muss damit leben.“

„Oh, ich finde das gemein, wer sagt denn, dass es Absicht ist? Vielleicht passiert das ausversehen oder er kann gar nicht anders.“

„Aber Frau Lehrerin hat gesagt, dann ist er falsch bei uns und soll sich gefälligst woanders daneben benehmen.“

Bumms – was soll ich einem 7 jährigen Kind da sagen, wenn die vermeintliche Vorbildsperson solche Aussagen den Kindern offen ins Gesicht haut und damit ihre Empathie auslöscht?! Was kann ich zuhause auffangen von diesem Druck und wie würde es meinem Kind ergehen, wenn es selbst ein rot bekäme? 😓
ZWEI:
Da bin ich total bei Dir! Danke für dieses Bild 🙏💓 Ich erlebe immer wieder, dass wir (als Erwachsene) oft gar keine Alternative zu Ampeln und den wenn-danns gelernt haben. Denn was es stattdessen braucht, sind Erwachsene, die sich trauen, sich zu zeigen. Ganz authentisch. Die sich trauen, sich mit all ihren Ecken & Kanten, all ihren Gefühlen in echte Beziehungen rein zu geben. Danke, dass Du dazu ermutigst 💞
DREI:
Ich habe das im offenen Ganztag erlebt.
Eine kleine Polin hat ihre rote Ampel mit nach Hause zum Unterschreiben nehmen müssen. Die Kleine hat Prügel bezogen, da die Eltern nur verstanden haben, dass ihre Tochter nicht funktioniert hat.
Diese Dressurmethode halte ich für völlig daneben.
Die Kleine hat auch nur verstanden, dass Ihr Verhalten wohl falsch gewesen sein muss.
Mangels Sprachkenntnisse hat sie den Hintergrund nicht erfasst.
VIER:
Ich habe früher wirklich mal gedacht ein Belohnungssystem sei etwas tolles. Bis ich meinen Sohn bekommen habe und zum Glück 🍀 auf deine Seite gestoßen bin. Und so sehe ich weder in Strafen Sinn noch in solchen Belohnungen
FÜNF:
Habe niemals ein Ampelsystem erlebt, aber bei uns wurde für eine Weile am Ende des Tages offen gesagt, wer sich benommen hatte und wer nicht. Ich kann da nur Bestätigen dass es mehr Schaden verursacht hat, als es geholfen hat. Ich kam mal in der „sich nicht benommen“ Liste, weil ich mich von ein Arschloch verteidigt hatte. Selbt meine Stressreaktion auf diese Gemeinheit würde als „schlechtes Benehmen“ abgestempelt, und bekam nur noch mehr Stress deswegen. Ich erzähle hier nur über ein Beispiel, aber Situationen wie die haben mich als Mensch zerstört. Als Erwachsene weis ich nicht die Verteidigung von Übergriffen (von Verbale bin Physysche) funktioniert. Ich komme da in Angsstarre da ich das Gefühl habe, egal was ich tue, es wird
alles falsch sein, und alles wird gegen mich verwendet werden.

Da kann ich dir nicht genug danken dass du erklärst, warum so ein Belohnungs- und Straffystem abgeschafft werden muss, weil die negativen Konsequenzen langfristig enorm sein können, uns im schlimmsten Fall auch tödlich.

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Nadine 20. Februar 2024 - 12:56

Hallo,
Ich arbeite in einem grossen Hort. Unsere Kinder sind zwischen 3 und 6 Jahre alt. Wir haben etwa täglich 70 Kinder zu 6 pädagogische Fachkräfte. Auch wir benutzen so ein ähnliches Bewertungssystem. Wir verteilen grüne Smileys, wenn das Kind etwas gut gemacht hat, sich gut benommen hat…rote Smileys, wenn irgendwas in unseren Augen falsch war.. diese Smileys hängen dann auf einer grossen Tafel. Einmal in der Woche wird diese Tafel mit allen Kindern angeschaut, und derjenige, der 5 grüne bekommen hat, darf sich ein kleines Geschenk aus der Schatztruhe aussuchen.
Aber
ich stehe überhaupt nicht hinter dem System. Es gibt mittlerweile Konflikte im Team, da ich immer dagegen schiesse. Ich habe schon alle pädagogischen Stellungsnamen zu diesem Thema vorgetragen, habe sie zum Anhören des Podcasts gebeten. Und demnächst haben wir eine Begleitung von unserem pädagogischem Fachbegleiter. Hoffentlich bringt das was!

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