Im Folgenden möchte ich euch zwei Rezensionsexemplare vom Herder Verlag vorstellen. Werbung
„Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern“ von Jörg Maywald
„Umgang mit aggressivem Verhalten von Kindern“ von Gabriele Haug-Schnabel
Vorweg: Die Herder Bücher sind ähnlich gestaltet und sprechen durch eine klare Struktur an. Die Kapitel sind übersichtlich und die Sprache verständlich. Wichtige Kriterien, damit pädagogische Fachkräfte auch in kurzen Pausen oder nach der intensiven Arbeit noch Muße finden, die Inhalte zu verarbeiten.
Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern
Die Kita sollte ein sicherer Ort sein, an dem Kinder sich frei, selbstständig und gleichzeitig geschützt entwickeln können. Leider ist immer wieder zu lesen und zu hören, dass dies in der Praxis manchmal nicht der Fall ist. Auch wenn wir nun alle wissen, dass Kinder seit 2000 ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben, taucht die Frage auf, was aber ist eigentlich Gewalt?
„Kinder sind wertschätzend anzusprechen und zu behandeln“
S. 117
Jörg Maywald ist Soziologe, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind, Mitbegründer des Berliner Kinderschutz-Zentrums und Honorarprofessor.
Wie eine jede Kita sich einem gewaltfreien, sicheren Ort entwickeln kann, erläutert er in sieben Kapiteln.
Das erste Kapitel: Die Kita – ein sicherer Ort für Kinder? thematisiert die unterschiedlichen Formen von Gewalt, sowie die Ursachen, die sie für das einzelne Kind haben. Auch, dass dieses Verhalten ernst genommen und angesprochen werden MUSS. Denn ohne diese Bewusstheit wird weiterhin weggesehen und die Probleme spitzen sich zu. Weg mit dem Tabu!
Das zweite Kapitel: Das Recht des Kindes auf Schutz vor Gewalt, schenkt dem Leser*in wichtige Einblicke in die umfassenden gesetzlichen Grundlagen. Diese sind auch im Anhang erneut gebündelt. Wichtig ist es für jede Fachkraft diese zu kennen und sich diesen Gesetzen bewusst zu sein.
Fehlverhalten und Gewalt durch Fachkräfte und wie darauf reagiert werden sollte, heißt das dritte Kapitel. Es wird praxisnah und das große Wort „Gewalt“ bekommt viele Gesichter. In Beispielen werden seelische, körperliche und sexualisierte Gewalt vorgestellt und erörtert wie in den einzelnen Situation reagiert werden könnte. Was kann bei Anschreien, Vergleichen mit anderen Kindern, Diskriminierung, Essenszwang, feste Schlafenszeiten, beim Zerren oder Toilettenzwang und anderen Gewaltakten getan werden?
Das vierte Kapitel: Mit Fehlverhalten und Gewalt angemessen umgehen, widmet sich vorrangig der Prävention. Wie kann Gewalt verhindert werden und was ist zu tun, wenn eine Fachkraft gewaltvoll reagiert? Maywald erläutert auch die strafrechtlichen Konsequenzen, die ein solches Fehlverhalten mit sich bringt.
Immer mehr Kitas haben in den letzten Jahren Schutzkonzepte und Beschwerdemanagementverfahren entwickelt. Wichtige Bausteine, für eine gewaltfreie Kita. Wie dies gelingen kann, wird im fünften Kapitel: Schritt für Schritt zur gewaltfreien Kita erläutert.
Was es mit der Berufsethik auf sich hat und welches Verhalten okay ist, wird im sechsten Kapitel: Auf dem Weg zu einer Ethik pädagogischer Beziehungen beschrieben.
Das abschließende und siebte Kapitel: Der Kinderrechtssatz in der Kita, erläutert inwiefern Werte und Regeln im Kitaalltag eine Rolle spielen. Welche Werte sollten vermittelt werden und wie kann die Kinderrechtsbildung in der Kita gelingen?
Mein Fazit? Ein überaus gelungenes praxisnahes Buch für die pädagogische Praxis. Für alle Einrichtungen ein klarer Wegweiser.
Kinder brauchen gewaltfreie Orte, die nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Niemals Gewalt, hieß es bereits 1978 durch Astrid Lindgren. Jede Kita und Schule MUSS ein sicherer Hafen für Kinder sein, an dem sie sich gesehen und wertgeschätzt fühlen, so wie sie sind und nicht erst dann, wenn sie so sind, wie einige Erwachsene sie möchten!
Umgang mit aggressivem Verhalten von Kindern
Auf dieses Buch war ich persönlich besonders gespannt, da ich bereits die vorherigen aus dem Jahr 2009 und 2011 verschlungen habe. Dieses Buch ist verändert und rückt nicht das „aggressive Kind“ alleinig in den Fokus. Vielmehr nimmt es die Leser*innen mit sich selbst mit der eigenen Einstellung hinsichtlich der Aggressionen auseinanderzusetzen und eigene aggressionsfördernde Verhaltensweisen zu überdenken. Ich möchte dich ein Stück mit durch das Buch nehmen.
Kurz ein paar Worte zur Autorin. Dr. habil. Gabriele Haug-Schnabel ist Verhaltensbiologin und Ethnologin, sie ist Gründerin und Leiterin der Forschergruppe Verhaltensbiologie des Menschen sowie Lehrbeauftragte.
Im ersten Kapitel: Ein neuer Blick auf herausforderndes Verhalten erläutert, warum aggressives Verhalten Fachkräfte stört und häufig so herausfordert.
„Der Wutanfall eines Kindes vertreibt uns aus unserer Komfortzone“
S. 11
In Kürze wird die kindliche Entwicklung dargestellt, denn dieses Wissen hilft der Fachkraft, Reaktionen und das kindliche Verhalten einordnen und verstehen zu können. Kinder in ihrer Individualität zu sehen und die Selbstwirksamkeit anzuerkennen, sind wichtige Schritte, in der Begleitung. Haug-Schnabel gelingt es, auf sensible Weise, der Fachkraft ihren Verantwortungsbereich aufzuzeigen, damit herausforderndes Verhalten minimiert wird oder erst gar nicht entsteht. Weg vom: Das Kind ist wütend und ich als Fachkraft muss etwas tun. Hin zu einer Atmosphäre, in der sie partizipieren können und ihre Bedürfnisse Beachtung finden, da durch eine achtsame Umgebung deutlich weniger Überforderungsanlässe ankündigen.
Das zweite Kapitel: Gruppenfähig werden: Schritt für Schritt professionell begleiten, setzt auf eine „sensible Blickschulung“ (S. 26). Die häufige Sorge, dass Aggressionen und auffälliges Verhalten zunimmt, wird unter die Lupe genommen. Sich in einer Gruppe zurechtzufinden braucht Begleitung und Kommunikationsfähigkeiten, sowie professionelle Kompetenzen im Team, damit Kinder von Vorbildern lernen können.
Aggressionsauslösende Situationen als Anreiz, über Veränderungsbedarf nachzudenken, heißt das dritte Kapitel. „Jedes Team braucht einen kritischen Blick auf Gewohnheiten, Regeln und seine selbstgemachten, da für nötig gehaltenen Sachzwänge“ (S. 42) heißt es einleitend. Wieder richtet die Autorin den Blick vorrangig auf das Umfeld, Rahmenbedingungen wie den Fachkraft-Kind-Schlüssel und eigenen Barrieren. Sie spricht unreflektierte Routinen, wie feste Morgenkreise, Schablonenarbeit am Tisch an, die Kinder in einen Alltag pressen, der womöglich nicht dem Kind entspricht. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich die offene Sprache des Buches sehr schätze und die Form, wie die Autorin die Fachkräfte zum Umdenken anregt. Einige Stellen des Buches dürfen nahezu wachrütteln und so werden „Echtbeispiele“ genutzt, die beim Lesen zum Schmunzeln anregen und mich gleichzeitig in Schockstarre versetzen, denn sie sind Alltag. Haug-Schnabel gelingt es in diesem Werk die Kinder, um die es ja geht, in den liebevollen Fokus zu rücken und an einigen Stellen für sie als Sprachrohr zu fungieren. Denn bei aggressivem Verhalten geht es meist um ein Hilferuf der Kinder an das Umfeld: „Schaut hin, ich möchte euch etwas mitteilen!“ und wir Erwachsenen werden aufgefordert, dieser Botschaft nachzukommen. Unseren Blick zu schärfen und die Kinder mit ihren Anliegen, Bedürfnissen zu verstehen und ihre Entwicklung zu beobachten.
Worauf ich an dieser Stelle noch hinweisen möchte ist ein spannender und häufig übersehener Konflikt- oder Aggressionsauslöser, die Langeweile. Räume, Tagesabläufe und Umgebungen, die wenig entwicklungsanreize bieten und Kinder, die in der Luft hängen, da Fachkräfte ihren Wissensdurst und ihre Explorationsneugierde nicht sehen. Ein Kind, was sagt: „Mir ist langweilig“ und keine Anreize findet, fällt früher oder später auch auf! Schade, denn dann wurde etwas verpasst…
Das vierte Kapitel: Aggressionsvermeidende Bildungsbegleitung – vor allem für Jungen?! greift die Langeweile auf und gibt Anreize, wie diese verhindert werden kann. Denn, Kinder sind „Bildungsnomaden“! Kinder benötigen Anreize, Freiraum und Herausforderungen. Das Kapitel widmet sich zudem der Koedukation von Jungen und Mädchen und liefer interessante Gedankenstöße auf der „Suche nach mehr Geschlechtersensibilität“ (S. 68).
Konflikte zwischen Kindern: „Ich habe keinen Streit gewollt, ich wollte nur meinen Ball wieder!„, heißt das fünfte Kapitel. In diesem Kapitel geht die Autorin dem „Übungsfeld“ in Konflikten auf den Grund. Die Konfliktbegleitung sowie einige Ideen zum Umgang mit Konflikten werden erläutert.
Kapitel sechs widmet sich der Sozialkompetenz, Resilienz und Stressbewältigung von Kindern.
Ein Blick auf die größeren Kinder bietet das siebte Kapitel: Was brauchen große Kinder an Regulationshilfe? Themen wie Kooperation und Konkurrenz wie auch die Konfliktbegleitung von Fachkräften sind Themen dieses kleineren Kapitels.
Das abschließende Kapitel: Von Teams für Teams: Eine professionelle Begleitung aggressiven Verhaltens gibt Ideen, wie im Team das Thema beleuchtet und kleine Veränderungsmomente erreicht werden können.
Mein kleines Fazit? Das Buch ist anders, es ist klar, leicht verständlich. Die Autorin rütteln an einigen Stellen wach und gibt zahlreiche Gedankenanstöße, das eigene Tun zu hinterfragen. Es ist praxisnah, abwechslungsreich und spannend zu lesen. Es bietet keine „Notfallpläne“ wie aus den vorherigen Werken bekannt und regt stärker dazu an, sich auf die Bedürfnisse des Kindes zu fokussieren, den eigenen Blick zu schulen und Kindern in jeden Lebenslagen wertschätzend und interessiert gegenüber zu treten.
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