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Was hat Bedürfnisorientierung mit dem Tod zu tun?

Von Kathrin

Dies ist wohl einer der bisher emotionalsten und intimsten Texte auf meinem Blog und nach längerem Überlegen entschied ich, ihn nun doch zu posten. Es zeigt mich verletzlich und angreifbar, ehrlich und zerbrechlich. Etwas, was wir alle doch gern verstecken, denn trauern und Trübsal blasen ist nun wirklich nicht besonders sexy. Und wenn wir ehrlich sind, umgeben wir uns auch lieber mit Menschen, die gute Laune machen und das Leben feiern! Gut so! Aber leider (oder zum Glück) gibt es nicht nur schwarz und weiß und leider ist das Leben nicht immer kunterbunt. Es gibt auch diese Zeiten, in denen wir mächtig mit uns und unserer Welt zu tun haben. Das morgendliche Aufstehen schwerfällt und der Sinn des Lebens nicht so ganz klar scheint. Auch diese Phasen wollen erlebt und gelebt werden und bekanntlich gibt es dafür wohl nicht diesen einen richtigen Weg! Lange war meiner das Verdrängen und „gute Miene zum bösen Spiel“ war angesagt! „Ist doch nicht so schlimm!“, „Steh wieder auf“, oder „Ach du bist stark, du schaffst das!“. Ja, schaffen geht immer, aber wie?
Ich nehme dich ein Stück mit auf meine Reise! Vielleicht gibt es dir Mut und Kraft, solch schwierigen Phasen zu erleben und gestärkt daraus hervorzugehen – insofern das geht!

Meine Geschichte vom Leben und Tod

Da fragst du mich plötzlich, welcher der beeindruckendste Moment in meinem Leben war!

Wie aus der Pistole geschossen sage ich, die Geburten meiner Kinder. Sowohl bei Kind eins wie auch bei Kind zwei stand die Welt kurz still und veränderte mein Leben unglaublich. Wahnsinn, wie das so geht, ein Mensch, der in einem wächst und dann irgendwann auf die Welt kommt. Und quasi nichts kostet. Er entsteht einfach so.

Dann halte ich kurz inne und denke nach. Ich hole tief Luft und sage, dass zwei weitere Momente mein Leben irgendwie verändert und mich tief beeindruckt haben.

Es liegt nun fast vier Jahre zurück und ich hatte die Ehre einen Menschen beim Sterben zu begleiten. Als die Nachricht kam, dass mein Opa mit 90 Jahren nur noch wenig Zeit auf dieser Erde haben wird, fragte ich mich, was das für mich bedeutet. Ich war weit entfernt und wusste, dass er sich bewusst gegen die lebenserhaltenden Maschinen entschieden hat. Ich war unsicher, ob es einen Unterschied machen würde, ob ich bei ihm bin. In meiner inneren Unsicherheit erzählte mir eine Kollegin, dass sie Fälle kennt, in denen Menschen erst gehen, wenn sie „fertig“ sind auf dieser Erde und Abschied nehmen konnten. Unsere letzte Begegnung war innig, aber den 90. Geburtstag verpasste ich, aufgrund der „beruflichen Pflichten“. Nun spürte ich, es gibt einfach wichtigeres als meinen Job. Spontan buchte ich einen Flug und war kurz darauf im Krankenhaus. Es war mitten in der Nacht. Im Krankenhaus wurde ich liebevoll empfangen und Menschen beim Sterben zu begleiten, wurde als ehrenvoll angesehen. Immer wieder wurde ich gefragt, ob ich etwas bräuchte.

Hach, wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut vor Dankbarkeit und Liebe. Da lag er und ich hielt nach kurzer Annäherung seinen Kopf für die nächsten Stunden in meinen Händen. Er sehnte sich nach ganz viel Nähe und Sicherheit. Als ich seinen Kopf so in meinen Händen hielt, kam eine Schwester und sagte liebevoll: „Ja das mag er“. Er war zu meiner Zufriedenheit an einem Ort, an dem die Bedürfnisse von Menschen gesehen und gestillt  wurden. Er hatte Angst. Und ich spürte eine so tiefe Kraft in mir und wusste, dass ich nun für ihn da sein möchte. Unsicher, wie ich mich verhalten sollte, erinnerte es mich an die Abendsituationen mit meinen Kindern.

Schlafbegleitung, nur anders…

So als ob ich sie in den Schlaf begleite, begleitete ich ihn in seinen langen Schlaf. Ich sagte ihm immer und immer wieder, dass ich da bin, dass alles gut ist und wie sehr wir ihn lieben. Ich versuchte alle Sorgen und Ängste zu nehmen und erzählte ihm immer wieder von den schönen Dingen, die sein Leben erfüllten.

Ein Mensch in diesem Alter hat so viel erlebt, so viele Leben begleitet. Zu seiner Geburt gab es kein Radio und am Ende begeisterte ihn die Technik so sehr. Er folgte uns mir „google earth“ überall hin. Er hatte gefühlt sieben Leben und war lange im Krieg und nun lag er da. Eng an ihn gekuschelt blieb ich nah bei ihm, bis zu seinem letzten Atemzug. Ein magischer und einmaliger Moment. Ich hatte das Gefühl, er hatte es zum Ende hin eilig.

Die Pflegepersonen sagten, dass viele Menschen so sterben, wie sie gelebt haben und er liebte das Leben und das Loslassen fiel schwer. Er liebte so tief und erfreute sich am Leben und jedes seiner Enkel- und Urenkelkinder.

Mein Umgang mit dem Tod früher

Gleich den Tag darauf flog ich wieder in mein gewohntes Leben zurück und nahm mir nicht die Zeit zur Beerdigung zu kommen. Ich funktionierte einfach und kam meinen Pflichten nach. Ich trauerte immer mal zwischendurch.

Es lähmte mich und gleichzeitig hatte ich das Gefühl so etwas Wertvolles getan zu haben und ich fühlte mich dankbar und beseelt. Ich wollte genau das! Und ich war so froh über dieses Vertrauen, welches er mir schenkte. Später fragte ich mich nur immer und immer wieder, ob ich es „gut“ gemacht habe und wie es ihm ergangen sein mag?

Beruhigt, dass sein Leben so erfüllt und ausgiebig war, fiel mir das Loslassen Stück für Stück leichter.

Drei Jahre später…

Knapp drei Jahre später wurde ich erneut überrascht. Dieses Mal war es noch ein Stück näher und das Leben war noch nicht fertig gelebt – aus meiner Sicht. Dieses Mal war ich ganz und gar nicht bereit loszulassen. Immer und immer wieder dachte ich, ICH bin noch nicht fertig! Du darfst noch nicht gehen. Aber das Leben spielt anders.

Aber noch einmal drei Schritte zurück.

Ganz plötzlich erkrankte mein Vater und so richtig konnte der Grund seiner Krankheit nicht gefunden werden. Ein langes Kämpfen und Hoffen begann. Bis zu dem einen Tag im Januar, mein Handy klingelte ganz früh und du hast dich von mir verabschieden wollen. Ich erinnere mich an jedes Wort, was ich zu dir sagte! Meine Versprechen, mein Flehen… An jedes Wort.

Meine Welt blieb wieder stehen.

Es sah zuvor nach Erholung aus, aber das täuschte. Ich bat ihn in dem kurzen Telefon auf mich zu warten, dabei sagte er, dass er bereit ist. Ich war es aber absolut nicht. Hatten wir doch erst die letzten wenigen Jahre begonnen wieder eine nahe Beziehung aufzubauen. Wurdest du gerade ein Vater, den ich mir früher wünschte und noch was: die Opa-Rolle stand dir so gut. Du blühtest auf!

Zu meiner Beruhigung sagte er am Ende des Telefonates: „Dann komm!“.

Die Reise in das Ungewisse

Ich flog ein paar Stunden später wieder zu ihm und war auf alles vorbereitet, auf alles. Aber mich überraschte eine ganz andere Situation. Intensivstation, viele Geräte und ein tiefes Koma. Bähm! Kein Wort, keine Reaktion, nur Ärzte, Pflegepersonen und dieses Piepsen und das Geräusch der Beatmungsmaschinen.

Meine gefühlt herausforderndste Zeit begann. Ich verbrachte viele Tage und viele Stunden dort. Gefühlt habe ich ein halbes Medizinstudium mit Google erfahren, um das alles zu verstehen. Durch die wechselnden Kräfte vor Ort, erhielt ich täglich andere Informationen, auf die es unmöglich war sich einen Reim zu machen.

Vorher – nachher

Vor dieser Zeit war ich ungeduldig, aber auf der Intensivstation musst du eins können – Warten und verstehen! Und so saß ich da, oft stundenlang im Wartezimmer, gemeinsam mit vielen angespannten Menschen. Ich habe in diesen Tagen gelernt, innezuhalten, ruhig und geduldig zu bleiben, Kraft zu schöpfen und während ich bei ihm war, nur positive Energie zu versprühen. Wie schwer das war, spürte ich bei jedem Schritt. Aber ich wünschte es mir so sehr – ich wollte das Leben, sein Leben und war bereit dies so gut es geht zu unterstützen.

Es war ein Drahtseilakt zwischen Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung, Erschöpfung und Energie, der endlosen Stille und der lauten Musik auf meinen Ohren! Es war langatmig und doch viel zu kurz, tieftraurig und doch irgendwie magisch!

Ich war jeden Tag vollster Hoffnung und so stark wie ich nur sein konnte. Ich hielt seine Hand, erzählte Geschichten und versuchte das Piepsen der vielen Geräte auszublenden. Viele Tage bewegten wir uns im Zustand vom Koma mit kleinen Wachphasen, künstlich beatmet. Sprechen war nicht möglich und dabei wollte er immer und immer wieder etwas sagen – aber ich verstand nicht! Ohnmacht!

Immer und immer bat ich ihn mit mir Geduld zu haben, ganz bald könnten wir wieder reden und dann…. dann würden wir reisen, leben, lieben, lachen. Ich versprach viel und träumte!

„Kämpf´ für mich, dein Kind!“

Er hat gekämpft, eisern gekämpft und am Ende genügte der Wille nicht! Am Ende mussten wir dich gehen lassen und meine Welt hielt ein weiteres Mal an.

Aber anders als zuvor, denn dieses Mal war ich nicht bereit, nicht fertig und fühlte mich plötzlich so allein. Irgendwie sogar das erste Mal im Leben so richtig erwachsen. Anders. Und dieses Mal wischte ich dieses Gefühl nicht weg. Ich ging nicht zurück auf Start und würfelte neu. Nein, dieses Mal blieb ich stehen und bewegte mich nur unglaublich langsam vorwärts. Ich entdeckte das Weinen wieder. Gefühlt jahrelang habe ich nicht geweint und ich machte eine Pause.

Einfach weiter laufen war nicht möglich!

Das erste Mal im Leben spürte ich, dass wenn ich nun nicht wirklich auf meine Bedürfnisse höre und meine Gefühle ernst nehme, nimmt mein Leben eine unangenehme Wendung.

Bedürfnisorientiert bekam plötzlich einen neuen Sinn!

Lange schon lebte ich die Bedürfnisorientierung und sorgte mich um die der Kinder. Aber nun erstmals spürte ich, dass ich mich auf eine Reise begeben muss.

„Krone gerade rücken und weiter laufen“ war dieses Mal keine Option.

So setzte ich mich mit meiner Trauer auseinander und versuchte, jedes schmerzhafte Gefühl als Zeichen des Lebens und der Liebe zu sehen.

Stehen bleiben – inne halten – Rituale entdecken

Für mich und auch für die Kinder gestalteten wir liebevolle Rituale und bereiteten das Abschiedsfest bunt und lebendig vor. Für einen Menschen, der das Leben liebte und selbst so viel Schmerz in sich trug.

Und jeden Tag entdecke ich Dinge, die ich von ihm in mir trage und spüre ihn oft so nah bei mir, dass es mich tief lächeln lässt.

Die Trauer um den Verlust ist gleichzeitig auch eine Trauer um einen Vater, den ich gerade wieder entdeckte. Der Stein, der ins Rollen gebracht worden war, war weitaus größer und älter als ich annahm. All dem Schmerz näherte ich mich langsam. Und ich tue es noch immer!

Trauer kommt in Wellen

Es gibt Tage, an denen ich gedanklich in die Hände klatsche und denke, wow, die schmerzhafte Phase ist endlich vorüber. Und dann, von einer Sekunde auf die andere, haut mich eine riesige Welle einfach nur um. Mittlerweile stehe ich aber viel schneller wieder auf und weiß, dass Gefühle mich immer wieder besuchen und wenn ich sie nicht mit meinen Gedanken füttere und an ihnen festhalte, gehen sie auch bald wieder. Manchmal gelingt es und manchmal so gar nicht. Und dann? Dann ist das auch okay und darf so sein!

Das Leben – ein Kreislauf

Und so ist das Leben ein Kreislauf, wir erfreuen uns am Leben und den Geburten und ab und zu trifft uns auch das Gefühl der Vergänglichkeit. Sich diesem zu stellen und es anzunehmen, ist für mich ein wichtiger Schritt des Wachstums.

Feiern wir das Leben, das Glück, die Gesundheit und schöpfen Kraft für all das was kommen mag.

Aus dieser Zeit gehe ich gestärkt und geliebt hervor und bin das erste Mal in meinem Leben – und das klingt nun etwas spooky – stolz. Ja, tatsächlich stolz, dass ich nicht weggelaufen bin, nicht weglaufe, sondern lebe und mein Leben annehme wie es ist! Stolz, dass ich mich bewege und entwickle. Tanze, liebe, lache, meditiere, fluche, mich ärgere. Aber was am Ende des Tages zählt, ist etwas anderes!

Dankbar und erfreut auf all was noch kommen mag!


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