„Mama, wo sind die Verstorbenen?“
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„Mama, wo sind unsere Katzen jetzt? Meinst du sie sind gern da oder wären sie lieber noch bei uns geblieben?“ fragte meine Tochter am Abend ihres Geburtstages beim Zubettgehen. Damit sie nicht vergisst wie die Katzen aussehen, wünschte sie sich ein bedrucktes Kissen. Sie hielt es fest in den Armen und lächelte selig. Der Moment, als sie spürte, dass die Bilder der Katzen im Kopf verblassen, schmerzte sie sehr.
„So lange wir lieben, so lange bleiben auch Verstorbene lebendig“ sage ich gern. Aber auch ich kenne das Gefühl und den Stich im Herzen, wenn die Erinnerung an den Geruch, die Stimme oder gar die erlebten Momente in die Vergangenheit rücken. Es tut weh und macht uns bewusst, dass geliebte Lebenwesen nicht mehr da sind, nicht mehr im Hier und Jetzt.
Auf der Suche nach eigenen Antworten
Wie oft hören wir, dass Verstorbene im Herzen weiter leben, weil wir Teil von ihnen sind. Zweifelsohne teile ich diesen Gedanken und doch erwischte es mich nach dem Tod meines Vaters eiskalt, denn ich hatte keinen Glauben und kein Konzept vom Tod. Ich wuchs ohne Religion und Glauben auf. Bisher störte mich das nie, ich fühlte mich frei und wohl damit. Aber in diesem Moment, als ich am Bett auf der Intensivstation seine Hand hielt, in diesem Moment kamen in mir diese mächtigen Fragezeichen auf.
Mein Vater hatte mir von so vielen Dingen erzählt. Er sprach mit mir über Politik, über die Sterne, die Wissenschaft, über das Reisen, über die Liebe und das Leben. Er sprach mit mir aber nur zwei-dreimal über den Tod.
Gemeinsam begleiteten wir seine Eltern nur circa 4 Jahre vor seinem Tod in den Himmel (oder wohin auch immer). Wir nahmen gemeinsam Abschied und fanden kurz darauf in das Leben zurück. In unser Leben, denn er dachte nicht daran, dass der Tod bald wieder kommen könnte.
Wir denken nicht gern an den Tod, denn das ist immer auch mit Schmerz, Trauer und einer Ohnmacht verbunden. Es tut weh, es ist schwarz und das hat in unserem Alltag keinen Platz. Wir möchten es bunt und lebendig.
Wenn ich sterbe, dann möchte ich …
Ich erinnere mich an einen sonnigen Tag, wir zwei spazierten am Meer entlang, was wir beide so sehr lieb(t)en.
„Ich möchte gerne im Meer sein, wenn ich Tod bin! Bitte beerdigt mich im Meer“ sagte er. Ich war überrascht und wollte nicht darüber nachdenken, was irgendwann einmal sein würde, wenn er stirbt, denn das ist ja iiiiiirgendwann. Und gerade haben wir es ja bunt und sonnig.
Ich tat den Gedanken recht schnell ab. Dabei war es eine Gelegenheit, in der ich hätte mit ihm über den Tod sprechen können. Einfach so, ohne Angst. Ich tat es nicht. Denn auch ich wollte nicht daran denken, was eines Tages ist, wenn ein Teil von mir nicht mehr hier ist.
Vielleicht wäre es ein guter Moment gewesen zu erfahren, was er eigentlich glaub, wo wir dann sind? Was mit unseren Seelen passiert? Hatte ich Sorge, dass ein Gespräch den Tod näher rücken lässt?
Nun weiß es, es kann uns nur stärker und sicherer machen, wenn wir die Wünsche des anderen kennen. Es macht uns sogar zufriedener und glücklicher, wenn wir diese Wünsche später umsetzen können. Vielleicht erleichtert es uns sogar den Abschied?
Aber nun wusste ich immerhin, dass er im Meer sein wollte, denn so kann er, wie er sagt, noch die ganze Welt bereisen. Ein schöner Gedanke.
Plötzlich ist alles anders
Nun stand ich da am Bett im Krankenhaus und hielt seine kühle Hand. Ich drückte sie so fest ich konnte. Er reagierte nicht und blitzartig wurde mir klar, nun muss ich auf all die Fragen selbst eine Antwort finden.
Wo gehst du nun hin? Was sage ich deinen Enkeln, die dich so sehr lieben und vermissen werden? Wo bist du?
Diese Leere, dieser Schmerz, diese Ohnmacht und diese Wut. Ich fühlte all das.
Für mich begann eine Reise tiefer Emotionen und Fragen, nach dem „Wo?“, „Warum?“ und „Wohin?“.
Ich blieb stehen und lief ein paar Monate viel langsamer als gewöhnlich. Ich suchte im Außen, im Innen, in Bücher, im Internet und blieb offen für alles was kam.
Die innere Reise danach
Nun bald 1,5 Jahre später habe ich meine Antworten gefunden. Ich habe nie die eine Wahrheit gesucht, nur eben meine eigenen Antworten, meine kleine Wahrheit, mit der ich gut leben kann. Eine Wahrheit, die es mir ermöglicht, meine Kinder und mich selbst in diesem Prozess zu begleiten.
Den Tod zu verschließen und zu übergehen machte für mich damals wie heute keinen Sinn, denn er gehört, ob wir das möchten oder nicht, zu unserem Leben.
Ich ließ meine Kinder an meiner Reise teilhaben und sprach und spreche mit ihnen in kindgerechter Art und Weise über das „Danach“. Sie erzählen selbst auch ganz frei, wenn sie sich an etwas aus der Vergangenheit mit ihren Katzen, ihrem Opa oder den Ur-Großeltern erinnern. Wir erfreuen uns daran und räumen diesen Anekdoten über die Vergangenheit den gleichen Wert ein, wie den Erzählungen über das Jetzt. Es gehört für uns einfach dazu.
Lebendig bleibt, wer geliebt wird
Uns so erhält der Gedanke, dass Menschen immer lebendig bleiben, so lange wir sie lieben und an sie denken, einen wichtigen Stellenwert.
„Aber Mama, wo sind die Katzen und Opa nun?“, fragte das sechsjährige Mädchen am Abend.
„Was meinst du denn, wo sie sein könnten?“, fragte ich zurück.
„Ich glaube sie sind überall, die können jetzt mit uns hier sein und woanders. Ich glaube, es geht ihnen gut und sie sind zusammen. Leider funktioniert das Wolkentelefon nicht so gut, dass wir nicht mit ihnen sprechen können. Aber wenn ich mal sterbe, dann sehe ich sie wieder und wir sind zusammen. Und Mama, ich warte dann auf dich. Wir bleiben auch immer zusammen, weil wir dann ja überall sein können, hier und da“ antworte sie ganz selbstverständlich.
Ich lächle innerlich und staune.
„Und Mama, ich möchte mal wieder dahin wo wir Opa verabschiedet haben, das war so toll.“
Kinder und Erwachsene nehmen Tod verschieden wahr
Beim Umgang mit dem Tod half es mir sehr zu verstehen, wie (meine) Kinder den Tod wahrnehmen. Das Konzept ist stark von der Entwicklung der Kinder und ihrem Alter abhängig.
Oft werden sie aus Schutz nicht in den Trauerprozess einbezogen. Ich erinnere mich selbst, als ich als Kind nicht an einer Beerdigung teilnehmen durfte. Diese Erfahrung mit dem Tod blieb in meiner Kindheit aus. Darüber bin ich einerseits sehr dankbar und gleichzeitig, möchte ich Kinder einbeziehen, ihnen ein mögliches Konzept zeigen.
In dem Kinderbuch »Der alte Mann und der Bär« heißt es über den Tod: »Reden, immer wieder reden, darüber reden, so übst Du ein wenig das Sterben.«
Kinder machen sich im Laufe der Jahre ein Bild vom Tod und vom Sterben, abhängig von ihren Erfahrungen, dem Erlebten und ihren Möglichkeiten der Verarbeitung. Das Verständnis von Sterben und Tod ist zudem stark abhängig vom Alter und dem Reifungsprozess des Kindes.
Während Erwachsene ein sachliches Verständnis vom Tod haben und verstehen, dass die lebensnotwendigen Funktionen des Körpers aufhören zu arbeiten und sich dies nicht mehr rückgängig machen lässt, begreifen Kinder den Tod erst im Laufe ihrer Entwicklung. Die Entwicklung des kindlichen Todeskonzeptes hängt zum einen von ihrem Alter, aber auch von Kultur, Religion und sozialem Umfeld ab.
Das Konzept vom Tod entsprechend der kindlichen Entwicklung:
Für Kinder unter drei Jahren bedeutet der Tod einfach, dass jemand nicht da ist. Wo und wie lange diese Person weg ist, lässt sich kognitiv nicht erfassen. Sie reagieren auf die erlebten Veränderungen aber manchmal mit veränderten Schlaf- oder Essgewohnheiten oder auch Gefühlen wie Wut, Angst und Frustration. Sie nehmen die Trauer und Verstörung der anderen Angehörigen wahr.
Auch im Alter von drei bis sechs Jahren sehen Kinder den Tod oft vorübergehend an und stellen sich vor, dass Tote durch bestimmte Handlungen wieder lebendig werden. Sie können zum Teil noch nicht begreifen, dass mit dem Tod alle Lebensfunktionen erlöschen, und fragen sich, wann das Sterben endlich vorbei ist und die Person wieder zurückkommt. Oft haben die Phantasien der Kinder in diesem Alter haben etwas Mystisches oder Magisches. In diesem Alter beginnen Kinder auch häufiger mit den Toten zu sprechen und bauen sie in ihr Spiel ein. Dieser Umgang wird aber auch von der Reaktion der Erwachsenen beeinflusst. Erleben sie das Thema Tod als Tabu oder Auslöser von Traurigkeit und Schmerz, meiden sie es. Bevor sie den Tod begreifen, glauben sie, dass nur bestimmte Lebewesen sterben können, nicht aber sie selbst oder nahestehende Personen.
Schulkinder im Alter von sechs bis neun Jahren erfahren einen kognitiven Entwicklungsfortschritt, der es ihnen ermöglicht, Objekte in sinnvolle Zusammenhänge zu setzen. Sie begreifen die Endgültigkeit schrittweise, wenn gleich sie auch noch mit starken Phantasien verbunden ist. Tode werden oft in Form von Skeletten, Engeln oder Geistern beschrieben. Grundsätzlich interessieren sich Kinder in dieser Entwicklungsstufe für das Thema Tod und sind auf Erwachsene angewiesen, die ihnen mögliche Fragen beantworten, statt sie völlig ihrer Phantasien zu überlassen. In jedem Fall machen sie sich ihre Gedanken und finden eigene Erklärungen. Lassen wir ihnen Raum, dann teilen sie uns diese auch offen mit.
Ältere Kinder (ab sechs) haben manchmal mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Diese sollten sensibel thematisiert werden. Passende Literatur, wie »Mein Geheimnis« von Gundula Göbel, kann hierbei unterstützend wirken und Gesprächsanlässe anbieten.
Sind Kinder ungefähr zehn Jahre alt, erreichen Kinder einen weiteren Entwicklungsschritt und können sich Situationen vor ihrem geistigen Auge ausmalen und bestimmte Gegebenheiten geistig durchspielen. Das bedeutet, dass Kinder auch Prozesse wie Krankheiten besser verstehen und durchdenken können, ohne diese direkt zu beobachten. Sie verstehen langsam die Konsequenzen für sich selbst und das Umfeld, die ein Tod mit sich bringt. Häufig treten auch Fragen wie nach dem Sinn des Lebens oder dem Leben nach dem Tod auf. Ein schwerer Verlust kann bei Kindern und Jugendlichen somatische Störungen verursachen.
Kinder und Jugendliche über zehn Jahren ziehen sich in manchen Phasen der Trauer gern zurück. Erwachsene sollten ihnen keine Gespräche aufdrängen. Sie leben ihre Trauer in ihrer Art und Weise aus und vielleicht gibt ihnen der geplante Diskobesuch mit Freunden Halt und Sicherheit.
Wie wir Erwachsene mit dem Tod umgehen, prägt die Kinder
Kinder spüren und erleben unsere Gefühle und sehen unseren Umgang mit dem Tod. Erwachsene fühlen sich oft befangen und sind verunsichert, wie sie mit dem Kind über den Tod sprechen sollen. Kinder benötigen Informationen und wir sollten keine Angst davor haben, sie kindgerecht einzubeziehen.
Das ist nicht immer leicht, besonders wenn wir selbst mit unserer Trauer beschäftigt sind und die Kinder vor Schmerzen schützen wollen. Drücken sich Erwachsene aber zu metaphorisch aus, so können die Fantasien der Kinder andere ungewollte Ängste wachsen lassen. Es gibt aber zahlreiche Möglichkeiten, die Kinder in den Prozess des Abschieds und des Sterbens einzubeziehen. Die Traurigkeit und der Verlust gehören zum Leben wie die Freude und die Geburt eines Menschen. Auch wenn wir die bunten Seiten des Lebens bevorzugen, so können wir uns nicht vor der anderen schützen oder gar verstecken.
Es ist zudem überaus wichtig zu akzeptieren, dass jeder anders mit seiner Trauer umgeht und dass ein gegenseitiges Halten und Trösten die Schmerzen lindert, aber nicht aufheben kann.
Kinder in ihrer Trauer begleiten
Es ist wichtig, sich die Frage zu stellen, wie der Abschied zelebriert werden kann und in welcher Weise die Kinder daran teilhaben können.
Soll dies ganz ruhig und klassisch schwarz sein?
Oder darf das Leben des Verstorbenen gar gefeiert werden?
Vielleicht dürfen die Kinder bunte Luftballons steigen lassen?
Als der Opa der vierjährigen Lucia mit ihr über seinen nahen Tod sprach, wünschte er sich zu seiner Bestattung auch ein Kinderlied, damit sich seine Enkel nicht langweilen. Solche Äußerungen machen es leichter, den Tag im Sinne der Verstorbenen zu planen. Häufig möchten wir es ihnen einfach nur recht machen und ihre letzten Wünsche erfüllen, insofern sie bekannt sind. Aber auch, wenn die Feier auf einem Friedhof stattfindet, können mit Kindern Rituale initiiert werden. Die Offenheit gibt den Kindern die Freiheit, ihre Gefühle zu äußern und sich vom Verstorbenen zu verabschieden.
Ihr Umgang damit kann auch uns Erwachsene unterstützen.
Für Kinder ist es in jedem Fall einfacher, wenn sie in den Trauerprozess aktiv einbezogen werden. Eine Ausgrenzung oder Isolation, welche häufig aus dem Wunsch entsteht, das Kind zu schützen, stellt für das Kind eine größere Bedrohung dar als die Teilhabe.
Eine weitere Form, wie Kinder einbezogen werden können, ist die Gestaltung und Auswahl der Urne. Hier findet ihr beispielsweise Modelle in Herzform: https://www.mementi-urnen.de/ (Werbung/unbezahlt).
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